World of Warcraft: Jaina Prachtmeer - Gezeiten des Krieges
mit Varian sprechen. In jüngster Zeit scheint er viel zugänglicher geworden zu sein. Jeder kennt und respektiert dich, selbst in der Allianz, Go’el. Du hast dir diesen Respekt durch dein Handeln verdient. Garrosh hingegen hat bis jetzt nichts außer Misstrauen und Hass erworben.“
Sie deutete auf ihren Umhang, der ihr von derselben Böe von den Schultern geweht worden war, durch die er auch sie ans Ufer getragen hatte. „Als Schamane kannst du die Winde kontrollieren. Aber nun zieht der Sturm des Krieges auf, und falls wir Garrosh nicht bald aufhalten, werden viele Unschuldige den Preis für unser Zögern bezahlen.“
„Ich weiß, was Garrosh getan hat“, sagte Go’el. „Aber ich weiß auch, wofür die Allianz verantwortlich ist. Es gibt Unschuldige, ja, aber nicht einmal du kannst Garrosh die alleinige Schuld an diesen jüngsten Spannungen geben. Nicht all die Angriffe der letzten Zeit wurden von der Horde angezettelt. Ich habe jedenfalls nicht den Eindruck, als gäbe sich die Allianz große Mühe, den Frieden zu bewahren.“
Seine Stimme war ruhig, doch ein warnender Unterton schwang darin mit. Jaina zuckte zusammen – aber nicht etwa wegen dieses Tonfalls, sondern aufgrund der Wahrheit seiner Worte. „Ich weiß“, gestand sie mit einem tiefen Seufzen ein, dann setzte sie sich entmutigt auf einen Felsen, der aus der Erde emporragte. „Manchmal fühle ich mich, als würde niemand meinen Worten Gehör schenken wollen. Der Einzige, der wirklich daran interessiert zu sein scheint, einen dauerhaften Frieden zu schmieden, ist Anduin Wrynn – und der ist erst vierzehn Jahre alt!“
„Das ist nicht zu jung, um sich Sorgen um die Zukunft der Welt zu machen.“
„Aber zu jung, um deswegen etwas zu unternehmen“, entgegnete sie. „Es ist, als müsste ich mich jedes Mal durch einen Morast vorkämpfen, damit man mir zuhört oder mich auch nur beachtet. Es ist … schwierig, diplomatisch zu bleiben und weiter auf echte, vernünftige Ziele hinzuarbeiten, wenn sich sonst niemand mehr um die Vernunft zu scheren scheint. Ich frage mich oft, ob ich nur meinen Atem verschwende.“
Sie war selbst überrascht, wie viel Ehrlichkeit und Müdigkeit in diesen Worten lag. Warum hatte sie das gesagt? Da erkannte Jaina, dass es niemanden sonst gab, mit dem sie wirklich sprechen, dem sie all ihre Zweifel anvertrauen konnte. Anduin blickte wie zu einem Vorbild zu ihr auf, darum konnte sie ihm nicht erzählen, wie mutlos sie bisweilen war, und Varian und die anderen Anführer der Allianz – nun, zumindest die meisten von ihnen – wollten keines der Argumente gelten lassen, die sie anbrachte. Alle waren gegen sie. Allein Thrall – Go’el – schien sie zu verstehen, und sogar er verleugnete nun, welch schreckliche Folgen seine Entscheidung, Garrosh zum neuen Kriegshäuptling der Horde zu machen, haben könnte.
Jaina blickte auf ihre Hände hinab, während die Worte sich weiter ungefiltert zwischen ihren Lippen hervordrängten. „Die Welt hat sich so sehr verändert, Go’el. Nichts ist mehr wie früher. Niemand ist mehr so wie zuvor.“
„Jeder und alles verändert sich, Jaina“, sagte er leise. „Es liegt in der Natur der Dinge, zu wachsen und zu etwas anderem zu werden. Der Same wird zum Baum, die Knospe wird zur Blüte, das …“
„Ich weiß“, schnappte sie. „Aber weißt du, was sich nicht verändert? Der Hass. Der Hass und die Gier nach Macht. Die Leute haben eine Idee oder entwickeln einen Plan, irgendetwas, von dem sie sich einen Vorteil erhoffen, und dann verbeißen sie sich darin und wollen nicht mehr davon ablassen. Sie ignorieren alles, was ihren Ansichten widerspricht, selbst wenn es direkt vor ihren Augen liegt. Worte der Vernunft und des Friedens allein werden sie nicht dazu bringen, ihren Irrtum einzusehen.“
Go’el zog eine Augenbraue hoch. „Vielleicht hast du recht“, erklärte er, ohne sich aber wirklich auf ihre Seite zu stellen. „Jeder muss seinen eigenen Pfad wählen. Vielleicht gibt es etwas anderes, auf das du dich konzentrieren solltest.“
Fassungslos blickte sie zu ihm hoch. „Diese Welt liegt bereits in Fetzen. Glaubst du wirklich, ich sollte aufhören, darum zu kämpfen, dass ihre Bewohner nicht auch noch sich selbst zerfleischen?“
Um ein Haar hätte sie noch hinzugefügt: „So, wie du es getan hast.“ Doch das wäre nicht gerecht gewesen. Man konnte Go’el wohl kaum vorwerfen, dass er untätig war. Er hatte viel für Azeroth getan. Trotzdem … es war engherzig
Weitere Kostenlose Bücher