World of Warcraft: Jaina Prachtmeer - Gezeiten des Krieges
von ihr, so zu denken, nichtsdestotrotz fühlte sie sich von ihm im Stich gelassen. Sie schlang den befleckten Umhang wieder um ihre schmale Gestalt, aber selbst als sie erkannte, wie abweisend diese Bewegung war, bedurfte es einer bewussten Anstrengung, bevor sich ihre Schultern wieder lockerten. Sie seufzte, während Go’el schweigend neben ihr auf dem Felsen Platz nahm.
„Du musst tun, was du für das Beste hältst, Jaina“, erklärte er. Ein leichter Wind spielte mit den Zöpfen in seinem Bart, und er blickte in die Ferne, während er fortfuhr: „Ich kann dir nicht sagen, was das ist, denn sonst wäre ich nicht anders als diese anderen, die du so sehr zum Verzweifeln findest.“
Er hatte recht. Es hatte eine Zeit gegeben, da war ihr sofort klar gewesen, wie sie sich in einer beliebigen Situation verhalten sollte, selbst wenn diese Entscheidung oftmals schrecklich bitter gewesen war. Der Entschluss etwa, nicht an der Seite ihres Vaters zu bleiben, als er gegen die Horde gekämpft hatte, war ein solcher einschneidender Moment gewesen, genauso wie die Entscheidung, Arthas zu verlassen, als er plante, was schließlich zum Untergang von Stratholme werden sollte. Doch jetzt …
„Nichts scheint mehr gewiss, Go’el. Ich habe den Eindruck, die Dinge sind unsicherer als je zuvor.“
Er nickte. „Dein Eindruck täuscht dich nicht.“
Sie wandte den Kopf und blickte ihn forschend an. Er hatte sich verändert, auf vielerlei Weise. Es war nicht nur seine Kleidung oder der Name oder das Verhalten, es war …
„Also“, sagte sie schließlich. „Das letzte Mal, als wir uns trafen, gab es ein fröhliches Ereignis zu feiern. Wie gefällt dir das Leben mit Aggra?“
Seine blauen Augen füllten sich mit Wärme. „Mehr als gut“, antwortete er. „Sie hat mich geehrt, indem sie mich als Mann akzeptiert hat.“
„Ich glaube eher, du bist es, der sie ehrt“, meinte Jaina. „Erzähl mir ein wenig von ihr! Ich hatte leider kaum Gelegenheit, mit ihr zu sprechen.“
Go’el musterte sie mit einem nachdenklichen Blick, so, als wunderte er sich, warum sie sich dafür interessierte, doch dann zuckte er unmerklich mit den Schultern.
„Sie ist natürlich eine Mag’har, geboren und aufgewachsen auf Draenor. Darum ist ihre Haut auch braun; sie und ihr Volk wurden nie durch Kontakt mit Dämonenblut befleckt. Azeroth ist eine neue Welt für sie, aber sie liebt es von ganzem Herzen. Wie ich ist sie Schamane, und sie widmet ihre ganze Kraft der Aufgabe, diese Welt zu heilen. Diese Welt“, fügte er leise hinzu, „und mich.“
„Musstest du denn … geheilt werden?“, forschte Jaina nach.
„Wir alle müssen geheilt werden, ob wir uns nun dessen bewusst sind oder nicht“, erwiderte Go’el. „Selbst wenn wir nie eine Wunde davontragen, hinterlässt das Leben doch Narben auf unserer Seele, allein dadurch, dass wir es leben. Ein Partner, der in dir das sieht, was du wirklich bist, wirklich und vollständig – ah, das ist ein Geschenk, Jaina Prachtmeer! Ein Geschenk, das einen an jedem Tag aufs Neue heilt und stärkt. Ein Geschenk, das man nicht als selbstverständlich hinnehmen darf. Indem sie mir dieses Geschenk gewährte, hat mich Aggra zu einem Ganzen gemacht. Erst jetzt verstehe ich, welche Aufgabe und welchen Platz ich in dieser Welt habe.“
Sanft legte er ihr die große grüne Hand auf die Schulter. „Ich würde mir auch für dich ein solches Geschenk und diese Einsichten wünschen, meine liebe Freundin. Ich möchte dich glücklich sehen, dein Leben zu etwas Ganzem geworden und die Aufgabe deines Lebens offenbart.“
„Mein Leben ist vollständig. Und ich weiß, welche Aufgabe ich habe.“
Hinter seinen Hauern lächelte er. „Wie ich schon erklärte: Nur du weißt, was richtig für dich ist. Aber lass mich dir eines sagen, aus tiefstem Herzen: Auf welchem Pfad du auch unterwegs bist, wohin immer er dich führen mag – ich für meinen Teil habe herausgefunden, dass diese Reise viel angenehmer ist, wenn man einen Lebensgefährten an seiner Seite hat.“
Jaina dachte an Kael’thas Sonnenwanderer und Arthas Menethil, und obwohl es ihr sonst eigentlich gar nicht ähnlich sah, überkam sie dabei ein Hauch von Verbitterung. Beide Männer waren so klug und wundervoll gewesen, und beide hatten sie geliebt. Den einen hatte sie respektiert und bewundert, die Liebe des anderen hatte sie in vollen Zügen erwidert. Doch dann waren beide dem Ruf der dunklen Mächte und den Schwächen ihrer eigenen Natur erlegen. Sie
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