World of Warcraft: Jaina Prachtmeer - Gezeiten des Krieges
den Jaina für gewöhnlich gut verborgen hinter einem Bücherschrank aufbewahrte. Sprach man den richtigen Zauber, verschwand die Reflexion des jeweiligen Raumes von seiner Oberfläche, und was gerade noch ein simpler Spiegel gewesen war, verwandelte sich in ein Fenster. Es war eine Variation des Zaubers, der es Magiern erlaubte, sich und andere von einem Ort an einen anderen zu teleportieren.
Andiun war einst unerwartet aufgetaucht, als Jaina von einem ihrer geheimen Treffen mit dem damaligen Kriegshäuptling Thrall zurückgekehrt war. Schlau, wie er war, hatte der Prinz schnell erkannt, was da vor sich ging, und nun teilten sie dieses Geheimnis.
„Ich konnte dich noch nie täuschen“, erklärte Jaina. „Wie ergeht es dir unter den Draenei?“ Doch sie wusste schon, was er ihr sagen würde, bevor er auch nur den Mund öffnete, um eine Antwort zu geben. Anduin war gewachsen – und nicht nur körperlich. Selbst im Spiegel, wo er nur eine Ansammlung blauer Farbtöne war, konnte sie sehen, dass sein Kiefer entschlossen vorragte und seine Augen in einem ruhigeren und weiseren Schein glänzten.
„Es ist wirklich unglaublich, Tante Jaina“, erklärte er. „Da geschieht gerade so viel in der Welt, das ich verändern möchte – aber ich weiß, dass ich hierbleiben muss. Fast jeden Tag lerne ich etwas Neues. Es quält mich zwar, dass ich nicht helfen kann, aber …“
„Die Aufgabe, uns eine Zukunft zu sichern, in der du glücklich aufwachsen kannst, obliegt nicht dir, Anduin“, unterbrach ihn Jaina. „ Dein Schicksal ist es, genau das zu tun, was du jetzt tust – also streng dich an! Lerne fleißig! Du hast aber recht: Du musst dortbleiben, denn dort gehörst du jetzt hin.“
Er verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, und plötzlich wirkte er wieder viel jünger. „Ich weiß“, seufzte er. „Ich weiß . Nur ist es eben manchmal … schwierig.“
„Die Zeit wird kommen, da du wehmütig an diese einfacheren, ruhigeren Tage zurückdenkst“, sagte Jaina. Kurz musste sie an ihre eigene Jugend denken. Geliebt von ihrem Vater und ihrem Bruder, sicher in der Obhut ihrer Gouvernanten und Lehrer, war ihr Leben trotz der militärischen Prägung ihrer Familie von der Freude am Lernen und den Pflichten einer jungen Lady erfüllt gewesen. Damals hatte sie sich gegen diese Lektionen gesträubt, aber nun erschienen ihr die Erinnerungen daran so süß und lieblich wie Blütenblätter.
Anduin verdrehte in gespielter Verzweiflung die Augen. „Richte Thrall schöne Grüße von mir aus“, sagte er.
„Das wäre ziemlich töricht“, entgegnete Jaina, lächelte jedoch, während sie sprach. Anschließend schob sie sich die Kapuze des Umhangs über das goldene Haar. „Alles Gute, Anduin! Es war schön zu hören, wie es dir geht.“
„Ich komme schon zurecht, Tante Jaina. Sei du lieber vorsichtig!“ Sein Bild verschwand, und Jaina, die gerade versucht hatte, die Kapuze zuzubinden, hielt mitten in der Bewegung inne. Sei du lieber vorsichtig! Oh ja, er wurde wirklich erwachsen!
Wie schon so oft in der Vergangenheit machte sie sich allein auf den Weg, wobei sie, ganz wie Anduin es gewünscht hatte, Vorsicht walten ließ und darauf achtete, dass ihr niemand folgte. Sie paddelte mit ihrem Boot nach Südwesten, zwischen den kleinen Inseln hindurch, die das als Tidenbucht bekannte Gebiet sprenkelten. Hin und wieder schnappten Matschpanzerklacker wütend mit ihren Zangen nach ihr, doch davon abgesehen wurde sie auf ihrer Reise durch die Gewässer nicht gestört.
Am Treffpunkt bugsierte Jaina das Boot an Land, überrascht, dass Thrall nicht bereits eingetroffen war. Ein leichtes Gefühl der Unruhe überkam sie. So viel hatte sich verändert: Er hatte die Führung der Horde an Garrosh abgetreten, die Welt war aufgebrochen wie ein Ei und würde nie wieder dieselbe sein, und dann war da noch dieses gewaltige Übel gewesen, das verzehrt von Hass und Wahnsinn über das Angesicht von Azeroth gewütet hatte, bis man es schließlich besiegte.
Der Wind drehte sich. Er streichelte ihr Gesicht und wehte ihr die Kapuze vom Kopf, obwohl sie sie unter ihrem Kinn zugebunden hatte. Ihr Umhang blähte sich hinter ihrer zierlichen Gestalt auf, und plötzlich musste Jaina lächeln. Es war eine warme Brise, vom Geruch von Apfelblüten geschwängert, und ehe sie sichs versah, hob dieser Windstoß sie aus dem Boot, als wäre er eine große, sanfte Hand. Sie wehrte sich nicht; sie wusste, dass sie völlig sicher war. Die Brise
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