World Wide War: Angriff aus dem Internet (German Edition)
Vertreter des Pentagons, der unter der Bedingung mit mir sprach, dass er anonym bleibt, teilt diese Überzeugung nicht. Er weist darauf hin, dass die Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten Auswirkungen auf China gehabt hat, wo Millionen Fabrikarbeiter ihren Arbeitsplatz verloren. Aber die chinesische Regierung ist darüber weniger beunruhigt, als wir im Westen erwartet hätten, und fürchtet sich anscheinend nicht davor, die Kontrolle über die Bevölkerung zu verlieren. Der befragte Vertreter des Verteidigungsministeriums schließt daraus, dass China wirtschaftliche Rückschläge wegzustecken vermag und durchaus bereit sein könnte, solche Verluste hinzunehmen, sollten ihm die Vorteile eines Kriegs groß genug erscheinen.
Worin könnten diese Vorteile bestehen? Eine banale Antwort,die häufig zu hören ist, lautet, dass sich China gezwungen sehen könnte, Taiwan von einer Unabhängigkeitserklärung abzuhalten. Doch wenn ernstzunehmende Analysten die Wahrscheinlichkeit eines offenen Konflikts mit China abwägen, erwarten sie ihn eher in den Gewässern des Südchinesischen Meers. Die Spratly-Inseln sind nicht gerade eine Touristenattraktion – und eigentlich sind sie auch keine Inseln. Zusammengeballt, würden diese Riffe, Sandbänke und Felsen im Südchinesischen Meer knapp fünf Quadratkilometer Land ergeben. Diese fünf Quadratkilometer Land sind über fast 400000 Quadratkilometer Ozean verstreut. Tatsächlich sind nicht die Inseln der Besitz, um den China, Vietnam, Taiwan, Malaysia, die Philippinen und Brunei streiten. Vielmehr geht es diesen Staaten um das, was sich unterhalb der Inseln und um sie herum befindet. In der Umgebung der Riffe gibt es einige der größten verbliebenen Fischvorkommen der Welt, eine Ressource, die für die wachsenden und hungrigen Bevölkerungen der beteiligten Staaten große Bedeutung hat. Außerdem liegen die Spratly-Inseln auf der wichtigen Handelsroute, die den Indischen Ozean mit dem Pazifikraum verbindet. Auf diesem Weg strömt der Großteil des weltweit verbrauchten Erdöls aus dem Nahen Osten. Und dann sind da das Erdöl und das Erdgas unter den Inseln. Noch unerschlossene Gasfelder in der Region, die nach Ansicht der Experten größere Vorkommen enthalten als die in Kuwait (das gegenwärtig über die viertgrößten Reserven der Welt verfügt), könnten die Wirtschaft jedes dieser Länder jahrzehntelang antreiben. Die Ölfelder in der Region sind bereits erschlossen, wobei die verschiedenen Länder, die Hoheitsrechte auf die Spratly-Inseln beanspruchen, oft dieselben Vorkommen ausbeuten.
Sollte sich China entschließen, seine neu entwickelten militärischen Muskeln spielen zu lassen, so könnte es seine Macht durchaus einsetzen, um seinen Nachbarn diese Inseln zu entreißen – eine Möglichkeit, die ich in einem späteren Kapitel für ein Strategieszenario heranziehen werde. Sollte China diese Inseln annektieren,so könnten sich die USA gezwungen sehen, darauf zu reagieren. Die Vereinigten Staaten haben sowohl den Philippinen als auch Taiwan Sicherheitsgarantien gegeben. Chevron hat Vietnam bei der Erschließung der von diesem Land beanspruchten Offshore-Ölfelder geholfen. In den neunziger Jahren wurden im amerikanischen Naval War College mehrere im Südchinesischen Meer angesiedelte Konfliktsimulationen durchgespielt. Schon in den damaligen Planspielen setzte sich China durch.
Die Vereinigten Staaten könnten jedoch vor einer Intervention gegen China im Pazifikraum zurückschrecken, sollten sie dafür beträchtliche Schäden oder Störungen daheim in Kauf nehmen müssen. Nach Aussage von Verteidigungsminister Robert Gates könnten Cyberattacken »die wichtigsten Mittel der Vereinigten Staaten zur Verteidigung ihrer Machtposition und zur Unterstützung ihrer Verbündeten im Pazifik bedrohen«. Bei der Deponierung logischer Bomben im amerikanischen Stromnetz gingen die Chinesen möglicherweise absichtlich so vor, dass ihr Angriff bemerkt werde. Ein früherer Regierungsvertreter äußerte uns gegenüber die Vermutung, die Chinesen hätten die amerikanische Regierung wissen lassen wollen, dass das amerikanische Stromnetz im Falle eines Eingreifens der USA in einen Konflikt zwischen China und Taiwan zusammenbrechen könnte. Der Zweck der Übung habe darin bestanden, die Vereinigten Staaten von einem militärischen Engagement in der chinesischen Einflusssphäre abzuhalten.
Das Problem ist, dass Abschreckung nur funktioniert, wenn die andere Seite zuhört. Die
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