World Wide War: Angriff aus dem Internet (German Edition)
Lagezentrum zu flackern – und erlöschen. Die batteriebetriebene Notbeleuchtung schaltet sich ein und taucht den Raum in grelles Licht. Die Fernseh- und Computerschirme sind schwarz. Dann flackern die Lichter erneut und gehen wieder an. Auch das Bild auf einigen der Schirme kehrt zurück. In der Ferne ist ein lautes Dröhnen zu hören. »Das ist der Notgenerator, Sir«, erklärt der Offizier vom Dienst. Sein Stellvertreter drückt Ihnen erneut einen Telefonhörer in die Hand und flüstert die Worte, die Sie nicht hören wollten: »Es ist für Sie. Es ist POTUS.«
POTUS (President of the United States) sitzt im »Beast«, seinem riesigen gepanzerten Dienstwagen, der ein wenig aussieht wie ein gedopter Cadillac. Er ist auf dem Rückweg ins Weiße Haus. Die Leute vom Secret Service haben ihn aus dem Restaurant gezerrt, als der Strom ausfiel, aber der Wagen steckt im Stau. Auf den Straßen Washingtons wimmelt es von Autowracks, denn die Ampeln sind ausgefallen. POTUS möchte wissen, ob das, was ihm der Mann vom Secret Service gesagt hat, der Wahrheit entspricht: Ist tatsächlich die gesamte Osthälfte des Landes betroffen? »Nein, warten Sie. Wie bitte? … Jetzt hören wir von der Leibwache des Vizepräsidenten, dass auch dort, wo er ist, der Strom ausgefallen ist. Ist er heute nicht in San Francisco? Wie spät ist es dort?«
Sie sehen auf Ihre Uhr. Es ist 20:15 Uhr. Innerhalb von einer halben Stunde sind 157 Ballungsräume von einem Stromausfall während des Feierabendverkehrs ins Chaos gestürzt worden. Giftgaswolken treiben auf Wilmington und Houston zu. In mehreren Städten brennen in Raffinerien die Treibstoffvorräte. In New York, Oakland, Washington und Los Angeles sind U-Bahnen zusammengestoßen. Auf vier wichtigen Eisenbahnstrecken sind Güterzüge außerhalb großer Knotenpunkte und Verschiebebahnhöfe entgleist. Im ganzen Land stoßen Flugzeuge in der Luft zusammen und fallen buchstäblich vom Himmel. Pipelines, die Erdgas in den Nordosten befördern, sind explodiert; in Millionen Haushalten sind die Heizungen ausgefallen. Das Finanzsystem ist ebenfalls eingefroren, da Terabytes an Informationen in den Datenzentren ausgelöscht worden sind. Wetter-, Navigations- und Fernmeldesatelliten kommen von der Bahn ab und verschwinden im Weltraum. Die amerikanischen Streitkräfte bestehen aus zahlreichen isolierten Einheiten, denen es schwerfällt, miteinander zu kommunizieren.
Mehrere tausend Amerikaner sind bereits gestorben, Tausende Verletzte versuchen verzweifelt, die Krankenhäuser zu erreichen. Es geschehen noch andere Dinge, aber die Personen, die Ihnen Bericht erstatten sollten, kommen nicht zu Ihnen durch. In den kommenden Tagen werden die Lebensmittel in den Städten knapp werden, weil das Eisenbahnnetz nicht mehr funktioniert und die Datenströme in den Transport- und Vertriebszentren durcheinandergeraten sind. Der Strom wird nicht zurückkommen, da sich die Atomkraftwerke aus Sicherheitsgründen automatisch abgeschaltet haben und die Generatoren in vielen herkömmlichen Kraftwerken schwer beschädigt sind. Zahlreiche wichtige Hochspannungsleitungen sind in Brand geraten und geschmolzen. Da sich die Menschen kein Bargeld bei Geldautomaten oder Bankschaltern besorgen können, wird es zu Plünderungen kommen. Polizei und Notdienste werden die Kontrolle über die Lage verlieren …
In keinem der Kriege, an denen die Vereinigten Staaten im Lauf ihrer Geschichte teilnahmen, wurde den amerikanischen Städten derart großer Schaden zugefügt. Heute sind mehrere Staaten in der Lage, mit einer ausgeklügelten elektronischen Attacke eine solche Katastrophe herbeizuführen, und zwar innerhalb einer Viertelstunde, ohne dass ein einziger Terrorist oder Soldat seinen Fuß auf den Boden des angegriffenen Landes setzen müsste. Warum hat das bisher niemand getan, wenn es möglich ist? Aus demselben Grund, der die neun Nationen mit Atomwaffen seit 1945 davon abgehalten hat, diese Waffen einzusetzen: Ein Staat muss unter den gegebenen politischen Umständen zu der Überzeugung gelangen, dass ein solcher Angriff in seinem Interesse sein wird. Aber anders als im Fall der Atomwaffen, wo ein Aggressor durch das Versprechen der Vergeltung oder durch die Auswirkungen der freigesetzten Radioaktivität auf sein eigenes Territorium abgeschreckt werden kann, werden Cyberattacken unter Umständen geringe oder überhaupt keine Folgen für den Angreifer haben. Im Netzkrieg erfährt man möglicherweise nie, wovon man getroffen
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