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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zu.
    Und so wäre es gekommen – trotz seiner Körperkräfte wäre Truman durch den Überraschungsangriff niedergeworfen und von der Wut des unerwarteten Widersachers überwältigt worden, das erste Todesopfer der Unruhen ... so wäre es gekommen, wenn nicht der Zwerg gewesen wäre. Er kreischte, und schon kamen sie gelaufen, Unmengen von Freizeitsoldaten, rasende Schlägertypen und abgefeimte Rassisten mit Blut an den Händen. Das allein war schlimm genug, aber der kleine Wicht konnte unangenehmer werden, als der Indianer gedacht hätte. Er hatte ein Messer. Acht Zentimeter lang. Kein Vergleich mit Horace Tantaquidgeons Fischersäbel, aber immerhin ein Messer. Und dieses Messer zog er nun aus der Tasche, ließ mit leisem, teuflischem Klicken die Klinge aufspringen und fing an, Satzzeichen in den Rücken des Indianers einzugraben. Als erstes einen Punkt, dann einen Doppelpunkt, dann machte er Kommas, Bindestriche und ein großes, klaffendes Ausrufungszeichen.
    Eine halbe Sekunde, länger dauerte es nicht. Der Indianer bäumte sich auf und schlug nach dem Zwerg, so wie er nach einer Fliege geschlagen hätte, aber diese winzige Ablenkung bot Truman Gelegenheit, sich freizumachen. Im nächsten Moment war er auf den Füßen, rang nach Atem und teilte wilde Schläge gegen den Angreifer aus, der aus der Dunkelheit aufragte wie eine Wanderdüne. Wortlos, ohne Schmerz oder Anstrengung auch nur mit einem Brummen zu quittieren, gab der Indianer die Schläge zurück. Mit Zinsen. »Wohl wahnsinnig geworden!« keuchte Truman, während er schützend die Arme hochriß. »Bist du ein Verrückter oder was?« Hinter ihnen nahten die dünnen weißen Lanzen von Taschenlampen und eilige Schritte.
    Jeremy spürte einen schwachen Fausthieb seitlich sein Gesicht streifen, dann einen zweiten. Er verringerte die Distanz zu Truman. Jetzt sah er den Mann, den er umbringen wollte, zum erstenmal deutlich vor sich. Der heller werdende Schein einer Taschenlampe flackerte über das Gesicht des Verräters, und wieder spürte der Indianer tief im Innern, daß er diesen Mann kannte, mit ihm auf eine Weise verbunden war, die mit seinem Stamm zu tun hatte. Truman mußte sich wohl auch Jeremy genau angesehen haben, denn er ließ plötzlich verblüfft die Fäuste sinken. »Wer zum –?« begann er, aber es war zu spät, sich einander vorzustellen. Der Indianer hechtete nach seiner Kehle und bekam ihn wieder zu fassen, beide Hände packten die Luftröhre in unbarmherzigem Griff, einem Griff, bei dem Kaninchen nur noch mit den Ohren zucken und Gänse sofort kalt werden. Jeremy hätte die halb formulierte Frage beantwortet, hätte es Truman ebenso gesagt wie er es Sasha Freeman oder Rombout Van Wart oder sonst jemandem gesagt hatte, der es hatte wissen wollen, doch ihm blieb keine Zeit dafür.
    Mit einem Mal waren die Patrioten da, fielen mit ihren Stöcken und Brecheisen und Ketten über ihn her.
    Es war genau wie damals in Sing-Sing mit den Zuchthauswärtern. Jeremy ließ nicht locker, wie die Sumpfschildkröte, nach der sein Clan benannt war – sie mochten ihn erschlagen, erstechen, seinen Kopf abschneiden, aber sein Würgegriff reichte bis in den Tod und noch weiter –, trotz seiner Wunden am Rücken und der Finger, die an seinen Handgelenken zerrten. Dann schlug ihm jemand eine Eisenstange auf den Hinterkopf, und er spürte, wie Truman seinen Händen entglitt. Kurz bevor er zu Boden ging, warf er sich, von der Schildkröte geleitet, verzweifelt nach vorn und bohrte die Zähne ins Fleisch des Verräters – ins Ohr, ins rechte Ohr – und biß zu, bis er Blut schmeckte.
    Als er die Augen wieder öffnete, war alles still, und im ersten Moment glaubte er, wieder in seiner Hütte zu liegen und den Grillen zuzuhören, wie sie die Sekunden bis zur Morgendämmerung mitzirpten. Niemand brüllte mehr. Keine Reifen quietschten, keine Motoren heulten auf, man hörte keine Schreie der Not oder Wut. Aber er war nicht in seiner Hütte. Er lag rücklings im Straßengraben, und die Dämonen des Schmerzes hatten von seinem Körper Besitz ergriffen. Man hatte ihn geprügelt, getreten, mit Messern verletzt; sein linker Arm war an zwei Stellen gebrochen. Wie er so dalag und durch die Lücken zwischen den Bäumen zu den Sternen emporsah, lauschte er für eine Weile dem Gesang der Grillen und untersuchte im Geiste jede einzelne Wunde. Er dachte an seine Vorfahren, an die Krieger, die ihren Schmerz als Waffe benutzten, ihre Folterknechte noch verhöhnten, wenn die Klinge

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