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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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geweiht. Nichts besaß mehr Bedeutung – nicht die Sonne am Himmel, nicht der große Blue Rock am Ufer des Hudson oder der mystische Hügel oberhalb des Acquasinnick Creek. Ein Jahrzehnt kam und ging. Er war in den Fünfzigern – immer noch voller Kraft und Vitalität, immer noch jung –, aber er wollte sterben.
    Tja. Und dann traf er Joanna Van Wart.

DAS KLAGEWEIB
    Der erste aller Jeremy Mohonks, der Sohn von Mohonk, dem Sohn des Sachoes’, und der entfernte Urahn jenes traurigen, radikalisierten Knastbruders, mit dem der Stamm der Kitchawanken drei Jahrhunderte später zum Aussterben verurteilt schien, war gerade zweieinhalb Jahre alt und brachte stammelnd seine ersten Worte auf holländisch hervor, als sich Wolf Nysens Schatten über seine Welt legte wie ein Monat sternloser Nächte. Es war im Oktober 1666, am späten Nachmittag eines düsteren, freudlosen Tages mit der Aussicht auf einen frühen Sonnenuntergang und starken Nachtfrost. Jeremy spielte unter dem Küchentisch mit Stöckchen und Lehmklumpen und übte die beiden Wörter, die ihm am besten gefielen – suycker und pannekoeken –, während seine Mutter das Feuer schürte und die Suppe rührte. Nebenbei beobachtete er die Füße der Mutter, die mal beim Kohlschneiden vor dem Tisch stand, dann wieder den Raum durchquerte, um im Feuer zu stochern und den rußgeschwärzten Kessel auf seinem Gestell zurechtzurücken. Als er sah, daß diese Füße in die Holzpantinen schlüpften und durch die Tür in Richtung des Schuppens strebten, kroch er unter dem Tisch hervor. Im nächsten Moment stand er draußen vor der Hütte und bestaunte die großen, wirbelnden Rauchsäulen, die am hinteren Ende des Maisfelds den Himmel verfinsterten. Obwohl er es noch nicht in Worte fassen konnte, erfaßte er die Situation intuitiv richtig: Onkel Jeremias verbrannte die Strünke.
    Jeremy war zweieinhalb und wußte schon einiges. Zum Beispiel wußte er, daß sein Name vor kurzem noch Squagganeek gewesen war und er in einer verqualmten, feuchten Hütte in einem verqualmten, feuchten Indianerdorf gewohnt hatte. Er wußte auch, daß in den Wäldern, die ringsum drohend aufragten, Wölfe, Riesen, Kobolde, Menschenfresser und Hexen lebten und daß er sich niemals aus der unmittelbaren Umgebung des Hauses entfernen durfte, außer in Gesellschaft seiner Mutter oder des Onkels. Und er kannte die Strafe für das Übertreten dieser Vorschrift. (Kein suycker . Keine pannekoeken . Drei deftige Hiebe aufs Hinterteil und ohne Abendessen ins Bett.) Dennoch konnte er sich den Figuren, die diese Rauchsäulen beim Emporsteigen am Himmel bildeten – hier ein Schmetterling, da der Kopf einer Kuh –, nicht entziehen. Ehe er sich noch besann, war er schon weg. Die Stufen hinab, über den Hof und ins Feld hinaus, die verwitterten Furchen entlang und zwischen den wie Leichname verschnürten Garben hindurch.
    Er rannte wie ein Regenpfeifer, mit steifen Knien und trippelnden Schritten, hüpfte von einer Ackerfurche zur nächsten, platschte durch Pfützen, fiel der Länge nach aufs Gesicht und rappelte sich rasch wieder auf. Als er zum hinteren Ende des Feldes kam, sah er die Strünke, wie eine ganze Armee enthaupteter Zwerge, denen Rauch aus den kopflosen Rümpfen quoll. Sein Onkel war nirgends zu sehen. Doch da, vor seiner Nase stob eine Schar Waldhühner auseinander, und er scheuchte sie jauchzend vor sich her. Immer im Kreis jagte er sie, mitten durch den Rauch und in ein halb gerodetes Dickicht hinein, bis dicht an den Waldrand. Auf einmal blieb er stehen. Da stand Jeremias, direkt vor ihm. Und noch ein zweiter Mann. Ein großer Mann. Ein Riese.
    »Weißt du, wer ich bin?« donnerte der Riese.
    Sein Onkel wußte es, aber er sprach so leise, daß der Junge ihn kaum verstand. »Wolf«, sagte er, und im selben Moment rief Jeremy nach ihm.
    Wie sich herausstellte, hackte Wolf Nysen Jeremias nicht in Stücke. Noch zündete er den Schweinestall an, vergewaltigte Katrinchee oder verschlang die Haustiere. Tatsächlich bedachte er Jeremias nur mit einem schiefen Grinsen, tippte sich an die Krempe seiner Hirschledermütze und verschwand wieder in den Wald. Trotzdem war das Unheil geschehen: kaum hatte sich Jeremias unters Joch begeben, kaum hatte er den Kopf gesenkt und die Herrschaft des patroon akzeptiert, schon kam dieser Abtrünnige, um ihn zu verspotten und all seinen alten Haß und Zorn von neuem zu entflammen. Wer gibt dir das Recht? Die Worte des Schweden hallten in seinen Ohren wider, als er sich

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