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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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am Abend über die Suppe beugte, als er in der Nacht den Kopf aufs Kissen bettete und als er am Morgen die Unterwäsche überstreifte. Doch das war nicht das Schlimmste, noch lange nicht. Es folgte ein stetiger Niedergang der Geschicke der kleinen Familie auf Nysen’s Roost, als wäre der Wahnsinnige wirklich der böse Geist dieses Ortes und sie die Opfer seines Fluchs.
    Zwar waren sie mittlerweile gut ausgestattet (außer den Sachen, die ihnen die van der Meulens und die anderen geschenkt hatten, war auch vom patroon , der seinen neuen Pächtern damit eine nette Geste erweisen wollte, eine Wagenladung mit Gerätschaften für Farm und Haushalt geschickt worden – leihweise natürlich –, außerdem ein Gespann rachitischer Ochsen, drei Hampshire-Ferkel und ein einjähriges Kalb, dazu die Gutshofkuh, die ihnen Oom Egthuysen geborgt hatte), aber Jeremias hatte die Saat zu spät ausgebracht und erntete nur wenig. Der Weizen, der normalerweise im Herbst, nicht erst im Frühjahr, gesät wurde, entwickelte sich dürftig, ebenso wie die Felder mit Roggen und Erbsen, die er als Winterfutter eingeplant hatte. Gute Erträge gab es beim indianischen Mais, größtenteils dank Katrinchees Sachverstand, und ihr Küchengarten – Kohlköpfe, Rüben, Kürbisse und Kräuter – gedieh aus demselben Grund. Trotzdem, da kaum Korn für Brot und Brei blieb, weil der Löwenanteil der Maisernte für das Vieh reserviert bleiben mußte, würde die Familie auf Nysen’s Roost im kommenden Winter fast gänzlich auf Jagdwild angewiesen sein.
    Das Problem war nur, das Wild war verschwunden.
    In den Tagen und Wochen, die auf Wolf Nysens Besuch folgten, wurde das Wild immer seltener, beinahe als hätte der Wahnsinnige Vögel und Tiere wie ein unersättlicher Rattenfänger mit sich genommen. Wo Jeremias einst ein Dutzend Tauben geschossen hatte, kam er jetzt mit einer einzigen nach Hause. Wo er früher die Truthähne von den Ästen geschüttelt und einen Sack mit ihnen gefüllt hatte, den er kaum noch hatte tragen können, fand er jetzt gar keine mehr. Enten und Gänse mieden die Marschwiesen, das Rotwild war verschwunden, und die Bären, die sowieso nach Tannenzapfen und Talg schmeckten, hatten früh im Jahr den Winterschlaf begonnen. Selbst Eichhörnchen und Kaninchen schienen abgewandert zu sein. Gezwungenermaßen ging Jeremias angeln, und für eine Weile ernährte sie der Fluß. Den November hindurch und an den harten, rasch vergehenden Tagen des frühen Dezembers, an denen die Sonne am Himmel verblaßte und der Atem der Arktis eine dünne Eisschicht über den Acquasinnick Creek breitete, machte Katrinchee Fischbällchen, Fischauflauf, gefüllten Fisch, Bratfisch, Kochfisch, Fisch mit Rüben und Pinienkernen, Fisch mit Fisch. Dann aber brach der Winter mit voller Macht herein, das Eis reichte vom diesseitigen Ufer bis zum Fuß des Dunderbergs hinüber, und es gab nichts mehr zu angeln.
    Mit jedem Tag wurde es kälter. Den Brunnen überzog eine Eisdecke, Wölfe hechelten vor der Tür. Im Wald froren Spechte und Spatzen an ihren Schlafästen fest, leblos und hart wie Steingutbehang am Weihnachtsbaum. Zu Neujahr blies ein eisiger Sturm, gefolgt von fallenden Temperaturen und Schneewächten so hoch wie die Sanddünen Ägyptens. Als die Wölfe eines der Ferkel rissen, holte Jeremias die Tiere in die Hütte.
    Trotz alledem schien Katrinchee täglich stärker zu werden. Die Fisch-Diät überstand sie mühelos, nahm sogar zu, ließ ihr Haar wachsen. Zum erstenmal seit Jahren schlief sie wieder die ganze Nacht durch. Als Jeremias bei den Maisvorräten Bestandsaufnahme machte und die Tagesrationen halbierte, entwickelte sie sich zu einem Genie in Sparsamkeit. Obwohl es immer weiter schneite und Jeremias sich erkältete, obwohl die Stürme mit solcher Macht durchs Haus heulten, daß sie die Kerze auf dem Kaminsims ausbliesen, und es um ein Uhr mittags noch stockfinstere Nacht war, hörte man keinen Laut der Klage von ihr. Nicht einmal die unangenehme Nähe der Tiere konnte sie entmutigen, mochten einem die Ferkel auch zwischen den Beinen herumwieseln, mochte die alte Kuh im Dunkeln brüllen wie ein Untoter auf der Suche nach seinem Grab, mochten die Ochsen geifern, stinken, wiederkäuen, ihren Dung auf den Boden platschen lassen und ihr den heißen, übelriechenden Atem ins Gesicht blasen. Nein, es war eine Nebensächlichkeit, die ihr schließlich den Gleichmut raubte: eines frostklirrenden Morgens gegen Ende Januar machte Jeremias eine unerwartete

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