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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den Nerv freilegte. Dann erhob er sich mühsam und machte sich auf den Weg zu Peletiahs Haus.
    Sechs Monate später kehrte Jeremy Mohonk den Hügeln von Van Wartville den Rücken. Die Ohnmacht, die im Zuchthaus an ihm genagt hatte, das Gefühl von Verfall und Sinnlosigkeit vertrieben ihn aus seiner Kate unter der Weißeiche, was kein Mensch vermocht hätte. Er kehrte zurück in die Reservation bei Jamestown, um nach einer Mutter für seine zwanzig Söhne zu suchen. Seine eigene Mutter war tot. Vor zehn Jahren, als er in den Mauern von Sing-Sing geschmachtet hatte, war sie einer mysteriösen, auszehrenden Krankheit zum Opfer gefallen, die ihr den Appetit geraubt und sie binnen kurzem in einen jahrhundertealten, mumifizierten Leichnam verwandelt hatte. Ihr Bruder, der mit der perfiden Klinge, war von zäherer Natur. Jeremy fand ihn in einem vollgestopften, kleinen Haus am Flußufer. Verschrumpelt und mit einigen wenigen Zahnstümpfen im Mund, das weiße Haar zum Knoten hochgebunden und den Anzug für den Sarg bereits über einen Stuhl in der Ecke gebreitet, starrte er seinen Neffen mit einem Ausdruck an, als könnte er sich kaum an ihn erinnern. Was Jeremys Altersgenossen anging, die feingliedrigen Knaben und die aufblühenden Mädchen seiner Schulzeit, so hatten sie entweder derart massiv Fett angesetzt, daß ihre Augen kaum mehr zu sehen waren, oder sie waren in die Welt der Ausbeuter verschwunden. Jeremy suchte sich einen Job als Obstpflücker – es war gerade Traubenzeit, danach kamen Äpfel an die Reihe – und heiratete noch im selben Monat eine Cayuga namens Alice Ein-Vogel.
    Sie war eine große Frau, diese Alice, mit Waden, die unter ihrer Fülle anschwollen, und einem breiten, offenen Gesicht, das von freundlichem Wesen und Optimismus zeugte. Ihre beiden Söhne aus einer früheren Ehe waren erwachsene Männer, und sie gab sich zwar als Vierunddreißigjährige aus, war aber eher vierzig. Jeremy war ihr Alter egal, solange sie Kinder empfangen konnte, und ihre Söhne – beide lang aufgeschossen und mit messerscharfen Blicken – bezeugten dies zur Genüge. Er pflückte Trauben, er pflückte Äpfel. Im Herbst ging er auf die Jagd. Als der Schnee wie Schimmelpilz den Boden bedeckte und die Speisekammer leer war, arbeitete er als Packer in einem Supermarkt in Jamestown.
    Ein Jahr verstrich. Dann zwei, drei. Nichts geschah. Alice Ein-Vogel wurde zwar immer fetter, trug aber kein Kind in sich. Jeremy war dreiundvierzig Jahre alt. Er konsultierte einen Shawangunk-Medizinmann, den sein Vater gekannt hatte, und der Alte verlangte eine Locke von Ein-Vogels Haar. Jeremy schnitt sie ihr im Schlaf ab und brachte sie ihm. Mit zittrigen Fingern wählte der Medizinmann ein Büschel von Jeremys Haar aus, schnitt es knapp über dem Kopf ab und rollte die beiden Strähnen heftig in den Handflächen, als wollte er Feuer machen. Nach einer Weile teilte er die Strähnen wieder und ließ sie nacheinander auf eine Zeitung fallen. Lange Zeit betrachtete er schweigend die Anordnung der Haare. »Es liegt nicht an dir«, sagte er schließlich, »es liegt an ihr.«
    Am nächsten Morgen brach Jeremy nach Van Wartville und zu der verfallenen Kate auf, die er vor drei Jahren verlassen hatte. Bis auf das strukturelle Gerippe war nicht mehr viel davon übrig. Die Elemente hatten dem Bau ihren Tribut abgefordert, Vögeln und Kleintieren hatte er gleichermaßen als Schlafplatz wie als Misthaufen gedient, und Vandalen hatten alles zerstört, was sich nicht wegschleppen ließ. Aber egal. Der Indianer lebte auf seine alte Weise, still und verborgen, fing Kaninchen und Opossums mit Schlingen; was ihm fehlte, ließ er aus den Häusern und Garagen und Werkzeugschuppen der Lohnsklaven mitgehen, die sich von allen Seiten an das Grundstück drängten. Im Laufe der folgenden Jahre wanderte er mehrmals zwischen Peterskill und Jamestown hin und her, zog es ihn doch einerseits in die Gegend seiner Vorväter, andererseits zu seinem Volk. Ein-Vogel hieß ihn immer freudig willkommen, gleichgültig wie lange er fort gewesen war, und er war ihr dankbar dafür. Seine natürlichen Triebe ließen ihn sogar dann und wann zu ihr ins Bett steigen, doch blieb dies eine Übung ohne Hoffnung oder Sinn.
    Der Letzte der Kitchawanken wurde älter und dabei verbittert. Die Welt erschien ihm als freudloser Ort, beherrscht vom Stamm der Wölfe, den Bossen ging es immer besser, die Werktätigen waren niedergeworfen. Er war dem Untergang geweiht. Sein Volk war dem Untergang

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