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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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linken Auge prangte ein dunkelroter, häßlicher Bluterguß, ein Ohr war verbunden, und seine Kleidung – noch dieselbe wie beim Konzert – war zerrissen, schmutzig, blutgetränkt. Was sollte sie zu ihm sagen? Wir haben uns furchtbare Sorgen gemacht, wo warst du bloß, haben sie dir weh getan, ich bin so froh, wir sind so froh, Walter, sieh doch nur, sieh doch, wer da gekommen ist. Sie sprang vom Diwan auf und stürzte auf ihn zu, Walter war neben ihr, sie flogen der familiären Umarmung entgegen, Tränen der Freude, Odysseus’ Heimkehr aus der Fremde, hißt die Banner, stoßt in die Posaunen, Licht, Kamera ab ... er aber zeigte keinerlei Reaktion. Im nächsten Augenblick schob er sich an ihnen vorbei, hielt die Hand vors Gesicht wie ein Gangster vor dem Gerichtssaal, und dann stand er im Schlafzimmer, die Kofferdeckel auf dem Bett klafften wie ein weit aufgerissenes Maul.
    »Was tust du denn da?« Sie ging auf ihn los, zerrte ihn am Arm. »Truman, was ist los? Antworte mir! Truman!« Neben ihr klammerte sich Walter an die Beine seines Vaters und stieß ein monotones Wimmern aus: »Daddy, Daddy, Daddy!«
    Er war durch nichts zu rühren. Er schüttelte sie ab, wie er zu seinen besten Zeiten gegnerische Verteidiger abgeschüttelt hatte, zielstrebig und rücksichtslos, unhaltbar auf seinem Sturm zur Torlinie. Bücher, Kleider, seine Notizen, das Manuskript: das Haus stand in Flammen, ein Waldbrand tobte. »Tut mir leid«, flüsterte er, auf den Lippen jenes bebende, verkrampfte Verrätergrinsen – sie existierte nicht, Walter war unsichtbar –, und dann näherte er sich wieder der Tür.
    Draußen wartete ein Buick. Später sagten die Leute, es sei Van Warts Wagen gewesen, aber woher hätte sie das wissen sollen? Er war lang, schwarz, leichenwagenartig. Sie hatte ihn nie zuvor gesehen. »Truman!« Sie war an der Tür, stand auf der Schwelle. »Sprich mit mir!« Er sprach nicht mit ihr, sah sie nicht einmal an.
    Er warf den Koffer auf den Rücksitz und hechtete auf den Fahrersitz wie ein Gehetzter, dann ruckte der Wagen an und rollte rückwärts die Auffahrt hinunter. Sie stand da wie angewurzelt und sah ihn durch den langsamen, traurigen Tanz des Sonnenlichts auf der Windschutzscheibe in diesem Augenblick zum letztenmal. Den Mund verkniffen, der Blick ausdruckslos, wandte er nicht einmal den Kopf.
    Ganz ohne Abschiedsgeste blieb die Szene aber doch nicht. Als der Wagen nach links auf die Kitchawank Road hinausfuhr und ihr die lange, funkelnde rechte Breitseite zukehrte, tauchte plötzlich im offenen Fenster Piet auf, wuchs wie ein Giftpilz aus den sonnenlosen Tiefen des Wageninneren hervor. Er drehte sich zu ihr um, langsam und mechanisch wie ein Uhrwerk, und hob die bleiche, gekrümmte Kinderhand zu einem kaum merklichen, nur angedeuteten Winken.
    Bye-bye.
    Als Anna Alving knirschend auf der Auffahrt bremste, war es kurz nach zwei Uhr nachmittags, und ihre Hände am Lenkrad zitterten. Um sieben Uhr früh war sie von der Ferienhütte am Lake St. Catherine aufgebrochen, gefolgt von ihrem Mann im zweiten Auto. Irgendwo vor Hudson hatten sie kurz gerastet (Magnus war so besorgt wegen seines verschwundenen Schwiegersohns, daß er sein Thunfisch-Brötchen kaum anrührte, und sie war derart durcheinander, daß sie ihre Plunderhörnchen mit sechs Tassen Kaffee hinunterspülte), dann waren sie im Konvoi weitergefahren. Der Chevrolet war ein Rennpferd im Vergleich zu Magnus’ lahmem Nash, und obwohl sie versuchte, nicht zuviel Gas zu geben und ihn in Sichtweite zu behalten, hatte sie im Rückspiegel nur leeren Asphalt, als sie Claverack erreichte. Sie dachte kurz daran anzuhalten, um auf ihn zu warten, doch dann gewann die kritische Lage die Oberhand, und sie drückte das Gaspedal voll durch. Mama , drang die Stimme ihrer Tochter an ihr Ohr, wie in der vergangenen Nacht am Telefon, Mama, er ist weg , und sie warf den Wagen mit einem Tempo in die Kurven, das die Reifen rauchen ließ und ihr beinahe das Lenkrad aus den Händen riß. Als sie vor dem stillen Bungalow stehenblieb, dem Häuschen, das frisch gestrichen unter dem schattigen Gitterwerk der Blätter stand, sah es friedlich aus, normal und bieder; sie ließ das Lenkrad los und zog den Zündschlüssel ab. Einen Moment lang blieb sie sitzen, lauschte dem Ächzen und Knacken des ersterbenden Motors, dann nahm sie ihre Handtasche und setzte eine gefaßte Miene auf. Schließlich ging sie die Stufen zur Tür hinauf.
    Sie fand Christina auf den Diwan gekauert, die Schultern

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