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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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bekam sie? Nichts. Es war ihr Geburtstag, und keiner kümmerte sich darum. Weshalb sollten sie auch? Sie war lediglich ein Paar Hände zum Schälen und Melken und Waschen, ein Rücken zum Schleppen, Beine zum Umherhuschen. Heute wurde sie sechzehn, war eine fertige Frau, eine Erwachsene, und niemand machte sich das geringste daraus.
    Mit solch verbitterten Gedanken bückte sie sich nach den Eiern, die Röcke schon vollgesogen mit Tau. Ungemolken brüllten die Kühe nachdrücklich im Stall, während rings um sie eine Schar von zerrupften Hennen herumpickte und die Köpfe schieflegte, um sie mit glänzenden Augen vorwurfsvoll anzusehen. Der Dunst zog wie ein Leichentuch vom Fluß herüber, roch nach Schlamm, nach Toten und Ertrunkenen, und sie fröstelte, zog sich den Umhang enger um den Hals. Sie fand im jungen Gras am Zaun ein Ei, zwei weitere unter dem schützenden Dach des Holzschuppens, und richtete sich schließlich auf, um sich an der Schürze die Hände abzutrocknen. In diesem Moment – als sie gerade aufrecht stand, den Korb in der Armbeuge, die Hände in den Falten der Schürze verborgen – bemerkte sie zu ihrer Linken, dort, wo sich die Kontur des Stalls im Dunst auflöste, eine Bewegung. Instinktiv wandte sie den Kopf, und da stand er, hatte ein Bein vorgeschoben, lächelte kaum merklich und beobachtete sie.
    »Jeremias?« Sie machte eine Frage daraus, ihre Stimme hob sich überrascht, da ihr plötzlich klar wurde, daß sie nichts auf dem Kopf hatte, ihr Umhang und ihre Röcke von gräßlicher Schlichtheit und die gelben Bauernpantinen schlammverkrustet waren.
    »Pssst!« Er hielt einen Finger an die Lippen, winkte sie zu sich und verschwand im Nebel hinter dem Stall. Sie sah sich zweimal um – die Kühe protestierten, die Hühner gackerten, Enten und Gänse veranstalteten unten am Teich ein gotteslästerliches Gezeter – und ging ihm nach.
    Hinter dem Stall, zwischen dem Dornengestrüpp und dem Unkraut, umgeben vom aufwallenden Duft der Kuhfladen, nahm er sie bei der Hand und gratulierte ihr zum Geburtstag (gefeliciteerd met je verjaardag) . Dann sagte er etwas leiser, die Eier seien jetzt nicht so wichtig.
    »Nicht so wichtig? Wie meinst du das?«
    Der Nebel hüllte ihn ein. Sein Lächeln war verschwunden. »Ich meine, die brauchst du nicht mehr. Jetzt nicht mehr.« Er öffnete den Mund, um diese überraschende und ziemlich kryptische Aussage näher zu erläutern, schien sich aber eines Besseren zu besinnen. Er blickte zu Boden. »Weißt du nicht, weshalb ich gekommen bin?«
    Neeltje Cats war an diesem Tag sechzehn geworden, sie war klein und schmächtig wie ein Kind, aber sie hatte die uralte Weisheit ihrer unternehmerischen und poetischen Vorfahren, der Barden und Ladenbesitzer Amsterdams geerbt. Ihr war klar, weshalb er gekommen war – auch wenn er ihr nicht den alten Kitchawanken Jan gesandt hätte, und das gleich dreimal in den letzten acht Monaten. »Doch«, flüsterte sie und fand, der Form halber müsse sie eigentlich ohnmächtig werden oder so etwas.
    Er hatte in seinem Rausch der Beredsamkeit zum Thema Eier ihre Hand losgelassen und stand jetzt etwas verlegen da, seine Arme baumelten herab wie leere Jackenärmel. Verärgert, ungeduldig, leidend brüllten die Kühe. »Geht das also klar?« fragte Jeremias endlich und richtete dabei das Wort an einen Baumstamm fünf Meter hinter ihr.
    Klar? Sie hatte von diesem Augenblick seit Monaten geträumt, wenn sie mitten in der tiefen schwarzen Nacht zwischen ihren Schwestern auf der groben Matratze ausgestreckt lag und versuchte, sich vor dem Einschlafen sein Bild vor Augen zu rufen (Jeremias, der Prinz, der die Leiter ihrer Zöpfe erklimmen und sie aus dem Hexenturm befreien würde, der für sie Drachen erschlagen und Bösewichter zermalmen würde, Jeremias mit der Statur eines Steinmetzes und den meergrünen Augen). Sie hatte nie gezweifelt, daß er sie holen käme. In seinen Augen hatte sie es gesehen, in seinen gesenkten Schultern, als er gedemütigt an ihr vorbeigehumpelt und die Straße nach Peterskill entlanggewankt war, sie hatte es an seiner Berührung gespürt, in seiner Stimme gehört. Als der alte Jan sie beiseite nahm, nachdem er die Nachrichten für den patroon überbracht und ihrer Mutter einen in drei Noten gesungenen Gruß von einer Base aus Crom’s Pond ausgerichtet hatte, war ihr klargewesen, daß Jeremias Van Brunt ihr seine Ehrerbietung und schöne Grüße sandte, noch ehe die Worte über die Lippen des Indianers gekommen waren.

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