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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Salzkeksen und heißer Brühe ins Zimmer und hielt ihr scheltend den Löffel an die Lippen, als wäre sie ein kleines Kind, aber es half alles nichts. Christina mochte sich zwingen, einen Schluck zu nehmen, und sei es nur, um die Sorgenfalten in dem gütigen, bekümmerten Gesicht zu glätten, das sich über sie beugte, doch die Brühe war wie Säure in ihrem Magen; kurz darauf beugte sie sich über die Toilette und würgte sie wieder heraus, bis ihr die Tränen in die Augen stiegen.
    Dr. Braun, der Hausarzt der Familie, der die Fieberanfälle ihrer Kindheit gelindert, ihre Windpocken behandelt und ihr Knie genäht hatte, als sie von der obersten Stufe des Schulbusses gestürzt war, verschrieb ein Sedativ und meinte, es würde ihr vielleicht guttun, einmal mit seinem Kollegen Arkawy zu plaudern, einem Psychiater. Sie wollte nicht plaudern. Sie spuckte die Beruhigungspillen aus, preßte sich Walter und seine bunten, hoffnungsfrohen Bücher an die Brust und sah Gesichter, wutschnaubende, haßerfüllte Gesichter, in Trumans Gesicht war der größte Haß zu lesen. Am ersten November wog sie nur noch vierzig Kilo.
    Im Kreiskrankenhaus von Peterskill ernährte man sie intravenös, doch sie riß sich den Dauerkatheter aus dem Arm, sobald die Schwester das Zimmer verließ. Während der Verlegung in die andere Klinik war sie bewußtlos, aber auf dem kurzen Weg vom Krankenwagen zu der schweren Festungstür roch sie den Fluß. Als sie ihr die Arme festschnallten und Leben in sie hineintropfen ließen, konnte sie spüren, wie das Wasser rings um sie anstieg. Graue, schwappende Wellen, nichts Heftiges, ein Kräuseln, das sich über die weite Fläche ausbreitete und das Boot so sanft schaukelte wie ein Lufthauch die Wiege des Babys hoch oben in den Baumwipfeln. Auf einmal war sie wieder mit Truman zusammen, vor langer Zeit, lange vor Walter, vor dem Bungalow, lange vor der Diplomarbeit und den Büchern und Parteiversammlungen, und seine Hand lag in der ihren. Lange vor alledem. Sie waren draußen auf dem Fluß im Boot seines Vaters; es stank nach Fisch, und die Dollborde trugen von der Reibung tausender Taue, die Geheimnisse aus der Tiefe gehievt hatten, glatt gerundete Kerben. Er hatte im Bug eine Decke für sie ausgebreitet, sie roch den vertrauten widerlich-süßlichen Gestank der Auspuffgase, die Sonne stand hoch und der Wind war völlig abgeflaut. Was ist das? fragte sie. Dort drüben? Die Landzunge da? Er saß an der Ruderpinne und grinste: Kidd’s Point, nach dem Piraten benannt. Dahinter, das ist der Dunderberg, und gleich danach kommt der Abschnitt, den sie Horse Race nennen.
    Sie spürte das Wasser unter sich aufwallen. Sie blickte den Fluß hinauf, wo die Berge in Kontinente von Schatten zerfielen und Seemöwen in Ozeanen aus gebrochenem Licht schwebten. Und sobald wir um die Biegung sind , sagte er, ist der Fluß bis West Point ganz ruhig. Und dann kommen wir nach Martyr’s Reach . Dort kannte er eine wunderschöne Stelle, eine Insel mitten im Fluß, zwischen Storm King auf der einen und Breakneck auf der anderen Seite. Er hatte gedacht, sie könnten dort landen und etwas zu Mittag essen.
    Mittagessen. Ja, Mittagessen.
    Das Pech war nur, daß sie überhaupt keinen Hunger hatte.

SÖHNE UND TÖCHTER
    Es war der Morgen von Neeltjes sechzehntem Geburtstag, ein Morgen wie jeder andere: feucht, trübe, in der Monotonie der Routine erstarrt. Eier mußten gesammelt, Enten, Gänse und Hühner gefüttert werden. Es gab Feuer zu schüren, Haferbrei zu rühren, und allein beim Gedanken an das bevorstehende Spinnen, Buttern und Walken wurden ihr die Finger steif. Ihr Vater war im Auftrag des patroon irgendwo hingeritten, kam erst in der Nacht zurück, und obwohl es noch gar nicht richtig hell war, saß ihre Mutter schon kerzengerade vor dem Spinnrad, ihr rechter Arm hob und senkte sich mechanisch, ihr Blick war starr auf die Spindel gerichtet. Ihre Schwestern, kleine Mädchen noch, wärmten sich vor dem Kamin und spähten erwartungsvoll in den Topf. Niemand sah sich auch nur nach ihr um, als sie den Umhang vom Haken nahm und in die Pantinen schlüpfte.
    Verletzt und wütend – sie hätte ebensogut einer der schwarzen Niggersklaven des patroon sein können, so gleichgültig war sie den anderen – knallte Neeltje die Tür zu, durchquerte den Hof und ging daran, das Gras nach den morgendlichen Eiern abzusuchen. Sie verlangte ja nicht viel – ein Lächeln, herzliche Glückwünsche, eine Umarmung von ihrer Mutter –, aber was

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