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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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neckisch weit in den Nacken geschoben, als wäre es vom Himmel gefallen und wundersamerweise dort gelandet. Sie sah ihn im weichen Morgenlicht, wenn er in seine Stiefel mit den Stahlspitzen schlüpfte, und sie sah seine Silhouette vor dem kalten gelben Schein der Lampe im Wohnzimmer, wenn er nachts hereintorkelte: in jener trostlosen, zerrissenen Woche, die mit der Zeremonie an der Uni begann und mit dem Konzert endete, verbrachte er keinen einzigen Abend zu Hause.
    Morgens protestierte sie, um Mitternacht flehte sie, und in den Stunden danach ließ sie ihrer Wut und Verzweiflung freien Lauf. Er blieb ungerührt. Er lag betrunken im Bett, den zerfetzten Talar um die Beine gewickelt, der Atem pfiff durch seine Lippen. Beim Schrillen des Weckers sprang er aus dem Bett, zwängte sich in die Stiefel und wankte zur Tür hinaus – ohne Kaffee, ohne Cornflakes, ohne guten Morgen und auf Wiedersehen. Und so ging es bis zum Samstag, dem Tag des Konzerts. An jenem lauen und so verhängnisvollen Morgen war Truman beim ersten Lichtstrahl wach, grinste sie übers ganze Gesicht an, briet Eier und Würstchen, kasperte mit Walter in der Küche herum, hatte ein Sieb als Hut aufgesetzt. Konnte wirklich einfach alles wieder in Ordnung sein? fragte sie sich. Die Eierkuchen standen auf dem Tisch, Walter kicherte über seinen albernen Vater, Christina lächelte zum erstenmal in dieser Woche, und Truman feixte wie ein Hofnarr, wie ein Hanswurst, wie ein Wahnsinniger, der sich ans Gitter seines Käfigs klammert, riß sich das ausgefranste, akademische Gewand herunter und schleuderte es in weitem Bogen quer durch den Raum in den Papierkorb. Dann verschwand er augenzwinkernd im Schlafzimmer und kehrte kurz darauf in einem brandneuen Polohemd zurück – einem Hemd, das sie noch nie gesehen hatte, einem Wunderwerk von einem Hemd –, frisch aus der Verpackung und mit prächtigen Streifen in Rot, Weiß und Blau.
    Walter wurde von seinen Großeltern abgeholt, um einen faszinierenden Tag beim Fischen auf dem Hudson zu verbringen, während Truman und Hesh die Verstärkeranlage auf den Rücksitz von Heshs Plymouth verluden und Christina Sandwiches, Kekse und eine Thermoskanne mit Eistee einpackte. Summte sie vor sich hin? Lächelte sie gar im stillen? Sie hatte es in seinen Augen gesehen, hatte gespürt, daß er ihr gegenüber nichts mehr empfand, aber sie wollte es nicht glauben. Sie wollte glauben, daß dieser Morgen des Konzerts ein neuer Anfang war, strahlend und vielversprechend. Er war darüber hinweg, kam zu ihr zurück – es war doch nur die Belastung gewesen, und jetzt war es vorbei. Er hatte sein Diplom gemacht, seinen Talar getragen, bis er in Fetzen hing. Was machte es schon, daß er ein bißchen Dampf abgelassen hatte? Das war nur natürlich.
    Während sie Sandwiches einwickelte, dachte sie an das Konzert im vorigen Jahr, im Festzelt der Colony, als sie händchenhaltend auf einer Decke im Gras gesessen hatten, neben sich den schlafenden Walter. Robeson hatte »Go Down, Moses« gesungen, danach »Swing Low, Sweet Chariot« und etwas aus Händels »Messias«, und sie war in die Geborgenheit von Trumans Armen gesunken, hatte die Augen geschlossen und die mächtige, tiefe, wohltönende Stimme jede Faser im Resonanzboden ihres Körpers in Schwingungen versetzen lassen. Damals hatte es keinen Piet gegeben, keine Diplomarbeit, keine Crane/Mohonk-Verschwörung. Damals hatte es nur Truman gegeben, ihren Ehemann, den Mann mit dem Lächeln für alle Welt, den Sportler, Gelehrten, Parteihelfer und Held – nur Truman und sie.
    Und dann war der Morgen vorüber, sie ordnete ihre Flugblätter und dachte daran, daß sie vielleicht am nächsten Wochenende nach Rhinebeck oder so fahren könnten – um ein paar Tage lang von allem wegzukommen. Sie könnten in diesem alten Gasthaus am Fluß übernachten und segeln oder reiten gehen. Ihre Finger waren voller Druckerschwärze. Es wurde drei Uhr, vier. Sie saß am Fenster und hörte Radio, wartete auf ihren Mann und Hesh, die bei einer letzten Lagebesprechung mit Sasha Freeman und Morton Blum waren, und als sie aufblickte, sah sie Heshs himmelblauen Plymouth in die Auffahrt einbiegen. Sie rannte zur Tür hinaus, den Picknickkorb in der einen, eine Plastiktüte mit Flugblättern in der anderen Hand, ehe das Auto ausgerollt war. »Hallo«, wollte sie gerade rufen, »ich dachte schon, ihr hättet mich vergessen«, doch sie schluckte es hinunter. In diesem Moment nämlich bemerkte sie, voller Angst und Ekel

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