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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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und mit einem beklemmenden Gefühl der Niederlage, daß die Männer nicht allein waren. Wie die Puppe eines Bauchredners, die kleinen nackten Hände gegen das Armaturenbrett gestützt und ein irres, böses Hohnlächeln des Triumphes auf den Lippen, hockte zwischen ihnen Piet.
    Wenn sie auf diesen Abend zurückblickte, den Abend, der ihr Leben zerbrach, sah sie Gesichter. Piets Gesicht im Auto, das sich auf unaussprechliche Weise zwischen sie und ihren Mann schmuggelte. Trumans Gesicht, von ihr abgewandt, hart und ohne jedes Lächeln. Heshs Gesicht: derb, offen und ehrlich, als sie auf den Sitz neben ihn rutschte, starr und für den Tod gefaßt, als er bewußtlos auf den abgenutzten Kiefernbrettern der Bühne lag, während die Verbrecher und Braunhemden wie Dämonen durch die Nacht heulten. Und dann waren da die Gesichter des Mobs selbst: die wütenden Frauen mit ihren obszönen Gebärden und den haßerfüllten Augen; der Junge, der auf die Windschutzscheibe spuckte; ein Mann, den sie aus dem Fleischerladen von Peterskill kannte, der wie ein Hund die Zähne fletschte, mit beiden Händen seine Genitalien packte und dann in der universalen Geste von Verhöhnung und Verachtung Unterarm und Mittelfinger nach oben reckte. Ein Tag verging, zwei, drei, vier, eine Woche, ein Monat, und immer noch sah sie diese Gesichter. Sie bemühte sich auf jede erdenkliche Weise, ihnen zu entfliehen, sie kniff die Augen fest zu, ging im Zimmer auf und ab, sehnte den Schlaf herbei, sie verfolgten sie trotzdem. Sie waren da, häßlich und unleugbar, wenn sie aus dem unruhigen Schlaf hochfuhr, der sie im Morgengrauen übermannte, sie kamen am Nachmittag, wenn sie schluchzend auf dem Diwan saß, und im schwarzen Rachen der Nacht, wenn die Dunkelheit ihre Bilder heraufbeschwor. Dies waren ihre Geister, dies war ihre Attacke der Geschichte.
    Aufgetaucht waren sie schon in jener ersten Nacht, als sie die besorgten Anrufe beendet hatte und Heshs Blut auf ihrer Bluse eingetrocknet war. Sie hatte alle Krankenhäuser, die im Telefonbuch für Westchester und Putnam County verzeichnet waren, angerufen und erfahren, daß in keinem davon ein blutender Athlet mit kupferfarbenem Haar und zerrissenem Polohemd eingeliefert worden war. Sie stellte sich vor, wie er bewußtlos im Graben lag oder sich heimwärts schleppte wie ein auf der Schnellstraße überfahrener Hund. Müde und mit eingefallenen Augen saß sie neben dem Telefon und hoffte, er möge endlich anrufen. Er rief nicht an. Die Nacht schritt fort, hartnäckig und unerbittlich. Vom hinteren Zimmer kam das arrhythmische Knirschen und Schaben von Walters Zähnen, Schmelz rieb auf Schmelz. Und dann begannen, vom Fenstergeviert umrahmt, über der Buntnessel schwebend, hinter dem Radioapparat hervorlugend, die Gesichter aufzutauchen. Piets Gesicht und Trumans und Heshs, die verzerrte, raubtierartige Grimasse des Mannes aus dem Fleischerladen.
    Den nächsten Tag über saß Lola neben ihr, den nicht enden wollenden Vormittag, den unerträglichen Nachmittag und die sternlose Nacht hindurch, die auf sie herabfiel wie ein Fluch. Keine Angst, sagte Lola mit sanfter, den Schmerz lindernder Stimme, er wird schon wieder auftauchen. Er ist in Sicherheit, das weiß ich. Er konnte im Auto von irgendwelchen Konzertbesuchern nach New York entkommen sein oder auf Schleichwegen Piets Haus in Peterskill erreicht haben. Er ruft sicher an, sagte sie, es dauert nicht mehr lange. Nicht mehr lange.
    Sie hatte unrecht. Gut gemeint, aber schlecht geraten. Er rief nicht an. Hesh suchte das Gelände ab und fand nichts. Lola fragte, ob sie eine Schlaftablette haben wolle. Es war elf Uhr abends. Seit siebenundzwanzig Stunden hatte niemand Truman gesehen oder von ihm gehört. Scotch? Wodka? Gin?
    Dann kam der Montag, es war früh am Morgen – sieben oder acht, sie wußte es nicht. Lola stand hinter dem Ladentisch der Bäckerei van der Meulen, und Hesh war, mit rauh verschorften Armen und das Gesicht blaurot geschwollen wie ein Stück Obst, auf dem Weg zu »Solovays Autoglaserei« auf der Houston Street. In diesem Moment kam er herein. Christina hatte seit fünfzig Stunden nicht geschlafen und sah Gesichter, der drei Jahre alte Walter krümmte sich wie ein Derwisch in seinem eigenen Tanz von Trotz und Trauma, der Mülleimer quoll über, die Speisekammer war leer, ihre Mutter eilte aus dem Urlaub in Vermont zurück, um ihr beizustehen in dieser Stunde des Bankrotts, und er kam zur Tür herein.
    Er hinkte. Er war betrunken. Unter dem

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