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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Bosse in der Gießerei schuftete. Wie ein Magnet zog der Umschlag sie an, ein Nonplusultra und eine Conditio sine qua non. Sie nahm ihn in die Hand.
    Darin steckte ein Stapel so dick wie das Telefonbuch, Hunderte von Seiten liniertes gelbes Papier, die mit den wilden Schleifen und Strichen seiner winzigen, engen Handschrift bedeckt waren. Großgrundbesitz und Rebellion: Die Crane/Mohonk-Verschwörung , las sie, von Truman H. Van Brunt . Sie blätterte um. »Die Geschichte von Van Wart Manor ist eine Geschichte von Unterdrückung, Lüge und Verrat, ein dunkler Punkt in den Annalen der kolonialen Siedlerbewegung...« Der Stil war ausschweifend, voller Klischees, leidenschaftlich und pathetisch – beinahe hysterisch. So eine historische Betrachtung hatte sie noch nie gesehen. Ein ahnungsloser Leser hätte glauben müssen, der Verfasser sei persönlich betroffen, das Opfer einer schreienden Ungerechtigkeit oder fälschlichen Beschuldigung. Sie las fünf Seiten und legte den Umschlag dann weg. War es das? Hatte das von ihm Besitz ergriffen?
    Sie bekam ihre Antwort drei Wochen später.
    Es war an einem Samstagnachmittag, eine Woche vor dem Konzert. Das Seminar war vorbei, die Arbeit fertig (mit zweihundertsiebenundfünfzig eng betippten Seiten war sie fünfmal so lang wie jede andere in diesem Semester), das Diplom verliehen. Als sie nach der Verleihungszeremonie den Zug zurück nach Peterskill nahmen, drückte sie sich in dem sachte schwankenden Abteil an Truman und dachte: Jetzt. Jetzt können wir endlich durchatmen . Am Spätnachmittag kamen sie zu Hause an. Truman durchquerte das Zimmer und ließ sich krachend in den Schreibtischstuhl fallen, immer noch in Barett und Talar – die geliehenen akademischen Kleider, die er sich beharrlich zurückzugeben weigerte –, der Schweiß sickerte in dunklen Flecken und spitzen Halbmonden durch den schweren schwarzen Musselin. »Komm, laß uns feiern«, sagte sie, »wir holen Walter ab und gehen irgendwohin essen – in ein nettes Restaurant. Nur wir drei.«
    Er starrte zum Fenster hinaus. Er wirkte nicht wie jemand, der gerade drei Jahre harter Arbeit mit einem gewaltigen, dauerhaften Triumph gekrönt hatte – eher wie ein Dieb, der in Kürze an den Galgen geführt werden sollte.
    »Truman?«
    Langsam drehte er ihr das Gesicht zu, und in seinen Augen lag dieser seltsam nervöse, leere Blick, den sie bei ihm seit Wochen kannte. »Ich muß noch fort«, sagte er und sah wieder weg. »Mit Piet. Ich muß Piet was an seinem Auto helfen.«
    »Piet?« Sie warf den Namen zurück wie einen Fluch. »Piet?« Sie konnte ihn vor sich sehen, diesen Piet, blaß wie eine nackte Made, auf den Lippen das nie erlöschende Grinsen. »Und was ist mit mir? Was ist mit deinem Sohn? Ist dir klar, daß wir nichts mehr gemeinsam unternommen haben seit – ja, seit Monaten?«
    Er zuckte nur die Achseln. Seine Oberlippe zitterte, als hielte er mit Mühe ein boshaftes, gemeines Hohnlächeln zurück: Ja, ja, ich bin schuld, ich bin ein Schwein, beschimpf mich, haß mich, reich die Scheidung ein. Er konnte ihrem Blick nicht standhalten.
    Fast vier Jahre waren sie nun verheiratet – bedeutete ihm das denn gar nichts? Was war los? Was war mit dem Mann passiert, in den sie sich verliebt hatte, dem tollkühnen Burschen, der stets lächelte, der unter der Bear Mountain Bridge durchgeflogen war und sie im Sturm erobert hatte?
    Er wisse es nicht, sagte er. Er sei müde, sonst nichts. Er wolle sich nicht streiten.
    »Sieh mir in die Augen«, sagte sie und packte ihn am Arm, als er zum Gehen aufstand, krallte die Finger in den rauhen Talar. »Du triffst dich mit einer anderen, stimmt’s?« Dabei steigerte sich ihre Stimme zu einem gellenden Klagen, das ihren Kopf anfüllte, bis sie glaubte, er würde gleich platzen. »Stimmt das?«
    Sie wußte im selben Moment, daß sie unrecht hatte, und dieses Wissen zerknitterte sie wie zusammengeknülltes Stanniolpapier. Eine andere Frau war es nicht. Ebensowenig wie die Crane/Mohonk-Verschwörung oder die vierzig Stunden pro Woche in der Gießerei. Sie blickte in sein Innerstes, und was sie dort sah, war ebenso endgültig und unwiderruflich wie eine herabsausende Guillotine: er war praktisch schon weg.
    Die Diplomarbeit war fertig, und er hatte nun Barett und Talar, die Insignien seines akademischen Strebens. Die restliche Woche über schlief er in ihnen, trug sie zur Arbeit, kam damit in Outhouses Kneipe hereinstolziert wie ein gelehrter Zigeuner, das quadratische Barett

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