Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
bei dem brausenden, tosenden Lichtstrom, der wie schwerer Seegang in seinem Kopf wogte, schloß er sogar kurzzeitig die Augen. Er dachte an Jessica und Tom Crane, Hector, Herbert Pompey – an die, bei denen er jetzt sein sollte und bei denen er nicht sein konnte. Er dachte an jenen trüben, kalten Samstagnachmittag vor drei Wochen, die Sonne hatte milchigblaß durch die zerschlissenen Vorhänge des Schlafzimmers geschienen und Jessica, in Stiefeln und Handschuhen, von den sehnigen, graziösen Füßen bis zur glänzenden, aufwärts geschwungenen Spitze ihrer angelsächsischen Stupsnase vermummt und eingewickelt, hatte sich zu ihm hinabgebeugt, während er zwischen Schlafen und Wachen gefangen lag. »Wohin?« hatte er genuschelt.
    Sie wollte Weihnachtseinkäufe machen. Natürlich.
    »So früh am Morgen?«
    Sie lachte. Es war halb eins. »Was meinst du zu einem Cocktail-Shaker?« rief sie aus dem Nebenzimmer. »Für deine Tante Katrina?« Er meinte gar nichts. Sein Mund war trocken, er mußte dringend pinkeln, und das Innenfutter seines Hirns schien über Nacht wie Hefeteig aufgegangen zu sein. »Ich dachte...« murmelte sie, jetzt redete sie mit sich selbst, ihr forscher Trommelschritt näherte sich der Tür, die Angeln quietschten, ein eisiger Luftzug drang herein, und nachdem die Tür leise hinter ihr zugefallen war, hingen noch ihre letzten Worte im Raum, »... für Daiquiris mit Eis und so was.«
    In der nächsten wachen Minute wurde er sich einer neuen Stimme – Mardis Stimme – bewußt, die kraftvoll aus dem vorderen Teil des Hauses hereindrang. »Hey! Jemand zu Hause? Juh-huh! Von draußen vom Walde komm ich her und der ganze Scheiß!« Die Tür knallte hinter ihr zu. »Walter?«
    Er stützte sich auf einen Ellenbogen auf, strich sich den Schnurrbart glatt und die Haare aus den Augen. »Hier drinnen«, rief er.
    Seit dem Nachmittag bei den Geisterschiffen hatte er Mardi drei- bis viermal pro Woche getroffen und sich dabei ziemlich mies gefühlt. Kaum war er vier Monate verheiratet, betrog er schon seine Frau. Schlimmer noch: er tat es, während sie bei der Arbeit war und das Geld verdiente, das er für Bier und Zigaretten und Steaks ausgab. Wenn er sich gestattete, darüber nachzudenken, fühlte er sich wie ein Arschloch – ein echtes, erstrangiges Auslese-Arschloch garantiert höchster Spitzenklasse. Andererseits war er immer noch seelenlos, hart und frei, oder? Verheiratet oder nicht. Was hätte Meursault in seiner Lage getan? Beide gebumst, natürlich. Oder keine. Oder überhaupt ganz jemand anderen. Sex war unwichtig. Nichts war wichtig. Er war Walter Van Brunt, nihilistischer Held, Walter Truman Van Brunt, hart wie Stein.
    Außerdem konnte er von Mardi einfach nicht genug bekommen. Sie war gefährlich, wild, unberechenbar – sie gab ihm das Gefühl, hart am Abgrund zu leben, mit ihr fühlte er sich schlecht im besten Sinne, wie James Dean, wie Belmondo in Außer Atem . Bei Jessica fühlte er sich nur einfach schlecht, Punktum. Wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, stank sie nach Formalin und hatte gerötete Augen. Die Tüte mit den Einkäufen gegen die hohen spitzen Brüste gepreßt, stand sie im Zimmer, während er sich inmitten des Drecks, der sich so ansammelte, auf der Couch lümmelte, und sie sagte kein Wort dazu. Fragte ihn nie, ob er schon einen Job habe oder ob er nun wieder auf die Uni gehen wolle, machte ihm nie Vorwürfe wegen der Stapel von dreckigem Geschirr, wegen der Bierflaschen, die wie Kegel auf dem Beistelltischchen aufgereiht standen, oder wegen des scharfen Marihuanageruchs, der in den Gardinen hing, in die Möbel sickerte und die Fenster beschlug.
    Nein. Sie lächelte nur. Liebte ihn. Ging an die Arbeit, wusch mit einer Hand das Geschirr, zauberte mit der anderen gebratene Forelle mit Mandeln, Fettuccine »Alfredo« oder ein scharfes Chili nach Texas-Art mit einem vor Vitaminen nur so strotzenden Spinatsalat, und nebenbei sang sie die ganze Zeit zu einer Platte von Joni Mitchell oder Judy Collins, in ihrem hohen, reinen Sopran, dessen unwahrscheinliche Schönheit alle Engel im Himmel gerührt hätte. O ja, er fühlte sich echt schlecht.
    Er wußte jetzt, daß er die ganze Zeit über vorgehabt hatte, sie zu verletzen, sie vor den Kopf zu stoßen und auf die Probe zu stellen – liebte sie ihn, liebte sie ihn wirklich ? Gleichgültig, was passierte? Wenn er schlecht und gemein war, wenn er nichts wert war – der wertlose Sohn eines wertlosen Vaters –, dann würde er diese Rolle

Weitere Kostenlose Bücher