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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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auch bis zur letzten Konsequenz spielen und sie genauso wie sich damit peinigen. Als sie mit dem Cocktail-Shaker für Tante Katrina heimkam – auf ihren Lippen das strahlende Wohltäterlächeln, in Goldfolie eingepackte Geschenke raschelten in ihren Armen, sie summte getragene Choräle und zeitlose Weihnachtslieder – und das abgedunkelte eheliche Schlafzimmer betrat, da hatte er wohl gewollt, daß sie ihn dort so überraschte: nackt und auf Mardi Van Wart einrammelnd. Er mußte es gewollt haben – warum hätte er es sonst getan?
    Den Wagen hatten sie zwar nicht hören können, aber die Eingangstür war unverwechselbar. Krach. »Walter?« Näherkommende Schritte, raschelnde Pakete. »Walter?«
    Aber Mardi war auch beteiligt gewesen. Hatte auf ihm gelegen, sich an ihn gedrückt, mit der hektischen Hast einer Mund-zu-Mund-Beatmung ihre Lippen auf die seinen gepreßt. Sie hörte die Tür knallen. Sie hörte die Schritte und Jessicas Stimme – hörte sie ebenso wie er. Er wollte sich von ihr losmachen, davonlaufen, sich verstecken, eine Show abziehen – er käme gerade aus der Dusche, Mardi hätte Kopfschmerzen gehabt und sich im Schlafzimmer ein bißchen hingelegt, nein, das wäre nicht ihr Auto vor der Tür –, doch sie ließ ihn einfach nicht los, hörte nicht auf. Er war in ihr, als Jessica durch die Tür kam. Dann, erst dann blickte Mardi auf.
    Jessicas Vater kam zwei Tage danach ihre Sachen holen. Walter lag bewußtlos auf dem Sofa, total betrunken, weil er sich haßte. Die Tür krachte, und John Severum Wing von der Investment-Beratungsfirma Wing, Crouder & Wing stand im Zimmer. »Steh auf, du Dreckskerl!« zischte er. Dann trat er gegen das Sofa. John Wing, 48, Rotarier, Sponsor des Baseball-Jugendteams, Kirchgänger, Vater von vier Kindern, gleichmütig wie eine in der Sonne dösende Dosenschildkröte, ließ seinen wildlederbeschuhten Fuß vorschnellen und erschütterte das Sofa bis in die Spanplatten. Walter fuhr hoch. John Wing stand über ihm und stieß mit gepreßter Stimme Beleidigungen hervor. »Du Schleimscheißer«, flüsterte er. »Abschaum. Schwein.«
    Walter kam es vor, als hätte sein Schwiegervater in diesem Ton noch ewig fortfahren können, die untersten Schichten seines Vokabulars auslotend und seine Stiche immer tiefer führend, wäre nicht plötzlich Jessica aufgetaucht. In diesem Augenblick stürzte sie durch die Tür, das Haar aus der blassen, patrizischen Stirn gekämmt und ein Taschentuch vors Gesicht gepreßt, als wollte sie sich vor dem Gestank von etwas seit langer Zeit Verwesendem schützen, und verschwand im Schlafzimmer. In der Stille, die nun über sie kam wie der Schock nach einem Artilleriebeschuß, hörten Walter, sitzend, und John Wing, stehend, das Knallen und Schaben von heftig aufgezogenen Schubladen, das Klacken von hastig aus dem Schrank gerissenen Kleiderbügeln, das Geklapper von Nippsachen, Parfümflaschen, Kinkerlitzchen, Andenken und all den scharfkantigen Kleinigkeiten des Lebens, die achtlos in Tüten und Schachteln gestopft wurden. Und sie hörten auch noch etwas anderes, ein gedämpfteres Geräusch, viel leiser, das Zucken von Hypothalamus und Kehlkopf: Jessica weinte.
    Walter stand auf. Er suchte nach einer Zigarette.
    John Wing trat gegen den Beistelltisch. Er trat gegen die Wand. Er schleuderte ein Kissen in die Küche wie einen Football über den Torpfosten. »Wie konntest du das tun?« fauchte er. »Antworte mir!«
    In diesem Moment haßte sich Walter, und wie; er fühlte sich schlecht bis auf die Knochen. Er zündete sich eine Zigarette an, ließ sie von der Unterlippe herabbaumeln wie Belmondo und blies John Wing den Rauch ins Gesicht. Dann nahm er seine Lederjacke vom Stuhl und schlenderte zur Tür hinaus, zwar schwankend, aber doch auch gelöst. Die Tür schloß sich hinter ihm, und der Wind fuhr ihm ins Gesicht. Er kniff die Augen zusammen, weil ihm Rauch hineingekommen war, bestieg seine Norton, gab ihr einen Tritt, der einem John Wing das Bein abgerissen hätte, und löschte mit einer Drehung des Gashebels das Universum aus.
    Jetzt aber, da er die schwindenden Minuten des alten Jahres im Korridor eines ihm fremden Hauses zubrachte, da er dringend pissen mußte, von fremden Gesichtern umringt und von Schwätzern und Schwachköpfen belästigt wurde, verspürte er natürlich eine gewisse Reue. Jessica redete nicht mehr mit ihm. (Er hatte sie ungefähr fünfzigmal angerufen, und weitere fünfzigmal auf seiner Norton vor dem Haus ihrer Eltern auf sie

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