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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Joey, oder? – und ich weiß nich, mit wem sonst noch alles. Die wollten zum Times Square.« Sie hielt inne und beobachtete Walters Gesicht, dann setzte sie ein schlaffes Grinsen auf. »Weißt schon«, sagte sie und wackelte mit ihren mächtigen Hüften. »Is eben Silvester.«
    Das neue Jahr war etwa zehn Minuten alt, als Walter seine Norton anwarf, sie von der Veranda herumschwang und erneut über den Rasen pflügte. In ihm pulsierte noch immer kometenhaft das Licht, doch jetzt war in seinem Innern auch ein dunkler Fleck – so dunkel und bedrohlich wie die Rückseite des Mondes –, der zusehends größer wurde. Er fühlte sich beschissen. Hätte am liebsten losgeheult. Keine Jessica, keine Mardi, überhaupt niemand. Und es war verflucht kalt. Er wich einer kränklichen Azalee aus, holperte über etwas hinweg, das unter dem Hinterrad auseinanderbrach – Ziegel? Feuerholz? –, und dann war er auf der Straße.
    So weit, so gut. Aber wo war er eigentlich? Er überfuhr die erste Kreuzung und bog bei der zweiten ab, in einen langen, düsteren Tunnel aus abgerindeten, verwachsenen Bäumen. Er war etwa eine Meile weit gefahren, viel zu schnell – er legte sich tief in jede Kurve und beschleunigte im Auslauf sofort wieder mit einer heftigen Drehung des Gashebels –, als er über eine alte Holzbrücke donnerte, hinter der die Straße aufhörte. Quer über die Fahrbahn spannte sich am Ende des Brückengeländers eine Eisenkette, so dick wie eine Ankertrosse. An den Bäumen dahinter prangten rotgelbe Reflektoren und ein Schild mit der Aufschrift PRIVAT. Er fluchte laut, wendete die Maschine und fuhr dieselbe Straße zurück.
    Wenn er nur das Schulgebäude finden könnte, dachte er, dann wäre alles klar. (Sleepy Hollow. Er erinnerte sich noch aus seiner eigenen Schulzeit daran, als er beim Peterskill-Basketballteam im Angriff gespielt hatte – die versifften Duschen, eine Turnhalle, in der es nach Bohnerwachs und Schweiß stank, ein großes, altes Backsteingebäude dicht neben der Hauptstraße.) Von dort aus waren es nicht mehr als zwanzig Minuten bis nach Peterskill und zum »Elbow«. Er hatte vor, dort hereinzuschneien und ein paar Bier zu trinken, vielleicht mit Hector oder mit Herbert Pompey – wollte seinen Kummer ersäufen, sein Los beklagen, ihnen beim Billard seine Version der Geschichte erzählen und vielleicht einen Joint durchziehen, der das dröhnende Gleißen in seinem Kopf etwas dämpfen würde –, als er trotz des Röhrens des Motors und des stechenden Pfeifens des Windes ein Geräusch in seinem Rücken wahrnahm. Kehlig, zwingend, allgegenwärtig kam es auf ihn zu wie das Donnern einstürzender Berge, das Tosen eines Hurrikans. Er wandte den Kopf.
    Hinter ihm, aus dem Nichts der Sackgasse heranrasend, fuhr ein Trupp von Motorrädern. Ihre Scheinwerfer erhellten die Nacht, so daß die fleckige Asphaltstraße und die Phalanx der nackten Baumstämme wie eine grell erleuchtete Bühne wirkten. Fast unwillkürlich nahm er das Tempo zurück. Es mußten an die dreißig Mann sein, das Dröhnen der Motoren wurde ständig lauter. Wieder sah er über die Schulter zurück. Waren es die »Apostel«? Der New Yorker Zweig der Hell’s Angels? Aber was hatten die hier draußen zu suchen?
    Lange brauchte er sich das nicht zu fragen, denn schon im nächsten Moment holten sie ihn ein, ganz gemächlich, der Donner der dreißig schweren Motorräder trommelte wie eine Faust in seiner Brust. Als er sich zurückfallen ließ, um sich einzureihen, kamen sie auf beiden Seiten heran, und jetzt konnte er sie auch sehen, weit zurückgelehnt auf ihren Choppern, die Westen flatterten in der finsteren Nacht. Zwei, sechs, acht, zwölf: er war im Zentrum des Hurrikans. Die Maschinen röhrten und surrten, sie hämmerten, heulten, spuckten Feuer. Vierzehn, achtzehn, zwanzig.
    Aber Moment mal: da stimmte etwas nicht. Das waren keine Angels – das waren eisgraue, klapprige Kerle mit ledrigen, verknöcherten Gesichtern, struppigen gelben Bärten und pissefarbenen Mähnen, die der Wind straff nach hinten wehte. Und – ja, ja – Walter dämmerte es wie das Eröffnungsmotiv eines altbekannten Alptraums, als ein alter Knacker vor ihm einscherte und die Aufschrift seiner Jacke ihm aus der Dunkelheit in die Augen sprang wie ein Gesicht. DIE ABTRÜNNIGEN stand dort in eng gesetzten, kantigen Blockbuchstaben über einem geflügelten Totenschädel, und darunter: PETERSKILL. Ja. Walter drehte den Kopf nach links, und da war er – der zu kurz

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