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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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spürte den Griff des Schwätzers am Unterarm. »Napalm, Alter«, flüsterte ihm die Nervensäge mit wissendem Kopfnicken ins Ohr, »das hat Tolkien damit gemeint.«
    Indem er dem zukünftigen Rekruten furchtlos in die rotgeäderten Augen sah, sagte Walter, er stimme hundertprozentig mit ihm überein, dann schob er ihn beiseite und versuchte, das Klo zu erreichen. Auf dem Weg dorthin mußte er über ein halbes Dutzend hingestreckter Körper steigen, sich behutsam einen Pfad durch die torkelnden, unberechenbaren, mit den Armen fuchtelnden Tänzer bahnen und wäre beinahe in einen vertrockneten Weihnachtsbaum gefallen, der mit Zigarettenpapier und den baumelnden, abgerissenen Gliedmaßen von Plastikpuppen behängt war. Mardi war nirgends zu sehen.
    Man feierte die Silvesternacht 1968/69, und das hier war das fünfte oder sechste Haus voller wildfremder Leute, in das ihn Mardi geschleppt hatte. Um einen drauf zumachen. Irgendwann an der verschwimmenden Peripherie des Abends hatten sie in einer vorstädtischen Wohnzimmereinrichtung gesessen, und irgend jemandes glotzäugige, zahnsteinige Eltern waren nicht daran zu hindern gewesen, Toddy mit ihnen zu trinken, und dann hatte Mardis Vater gefragt: »Aber die Strangs besuchst du doch? Und die Hugleys auch, ja?«, worauf Mardi höhnisch geantwortet hatte: »Na klar, und beim Nähkränzchen der Vaterlandsfreunde schauen wir sicher auch noch vorbei.« Dann der Sekt, die Flasche zu $ 1,79, mexikanisches Gras, das schmeckte, als wäre es mit Fensterputzmittel getränkt, die kleine gestreifte Pille, die Mardi ihm zugesteckt hatte, als sie wegen der Kälte kurz in einem Café untergeschlüpft waren, und all diese Häuser, Häuser voller besoffener, grienender, mißtrauischer, langzähniger, hundegesichtiger, strohdummer Fremder. Und nun dieses Haus: dreckige Holzverkleidung an den Wänden, gnadenlos plärrende Top-Ten-Hits und ein wehrpflichtiger Hermeneutiker. Er wußte nicht einmal genau, wo er überhaupt war – vermutlich irgendwo am hintersten Ende von Tarrytown oder Sleepy Hollow. Jedenfalls war es ihm so vorgekommen, als Mardi, rittlings auf der Norton und an seinem Rücken festgeklammert wie ein Bergsteiger an eine vom Wind gepeitschte Felswand, ihm »Hier ist es!« ins Ohr gebrüllt hatte und er quer über den Rasen gefahren und gegen die Steinplatte am Fuß der Veranda gerutscht war, kein Problem, alles klar?
    Das war vor einer Stunde gewesen. Mindestens. Jetzt war er auf der Suche nach dem Klo. Er tappte in die Küche, wo er zwei Burschen in bunten Umhängen und Cowboyhüten aufschreckte, die gerade einer Marihuanastaude die Blätter abzupften, und riß die Tür zum Besenschrank auf. »Noch ’n Stück den Gang runter, Mann«, sagte der eine Cowboy mit einem Akzent, der direkt aus dem westlichen Queens stammte.
    Als er die Toilette endlich gefunden hatte und die Tür aufriß, starrte er in die glasigen Augen einer Frau mit krausem Haar, der die blauen Cordhosen um die Knöchel hingen und die sich gerade sehr damenhaft auf der Sitzbrille niederließ; sie warf ihm einen Blick zu, der Metall hätte zerfressen können. »’Tschuldige«, murmelte er und wich zurück wie ein Krebs, der in seinen Unterschlupf verschwindet. Als die Tür ins Schloß fiel, spürte er einen vertrauten Griff am Arm und fuhr herum, um sich schon wieder mit dem wirren Wehrpflichtigen konfrontiert zu finden. »Tolle Braut, was?« sagte der Schwätzer und wischte sich die Hände an Walters Jackenärmeln ab.
    »Wer?« fragte Walter, obwohl ihm klar war, daß er besser nicht darauf reagieren sollte. Sie waren allein im Korridor. Vom Wohnzimmer dröhnte stampfende Musik herüber, die Cowboys aus Queens lachten hinter ihnen in der Küche. Allmählich vergaß Walter, wie Mardi überhaupt aussah.
    »Na, meine Schwester«, sagte der Wehrpflichtige. Er konnte kaum älter als zwanzig sein, aber mit dem Bart, dem langen Haar und dem verzerrten, manischen Grinsen, das jetzt plötzlich aufblitzte und seine Züge zerriß, wirkte er wie der alte Seefahrer aus Coleridges Gedicht höchstpersönlich, der den Hochzeitsgast mit festem Griff gepackt hielt. »Die da drin im Klo«, setzte er mit bedeutsamem Nicken hinzu. »Erinnert sie dich nicht an Galadriel – du weißt schon, die Elfenprinzessin? In der Szene, wo Elrond sich an sie ranmacht? Du weißt doch, welche ich meine, oder?«
    Nein, das wußte Walter nicht. Und er hörte jetzt sowieso nicht mehr zu – er lehnte mit unerträglich praller Blase an der Wand, und

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