Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
geratene Holländer, der Klabautermann, aller Logik und dem Fahrtwind zum Trotz mit seinem Spitzhut auf dem Kopf, die grobe Jeansweste über ein sackartiges Nesselhemd gezogen, das aussah wie im Museum geklaut. Ja. Und die Lippen des Klabautermanns bewegten sich: »Frohes neues Jahr, Walter«, schien er in all dem Getöse zu sagen.
    Walter zögerte keinen Augenblick. Er warf den Kopf zur anderen Seite – nach rechts –, und natürlich, dort war sein Vater, fuhr direkt neben ihm auf einem Harley-Chopper, auf dessen Benzintank wie Geierklauen Aufkleber mit lodernden Flammen prangten. Die Augen des alten Mannes waren hinter einer antiquierten Schutzbrille verborgen, das Haar flatterte ihm in fettigen roten Strähnen um den Kopf. Zuerst zeigte er Walter das Profil, dann drehte er ihm das Gesicht voll zu. Da war der Gestank der Auspuffgase, der sausende Wind, das Donnern der Motoren in der Nacht und ein einziger, langgezogener Moment, in dem die Zeit zwischen ihnen stillzustehen schien. Dann grinste Walters Vater und wiederholte den Wunsch des Zwergs: »Frohes neues Jahr, Walter.« Der Freundlichkeit konnte Walter nicht widerstehen – er spürte, wie ein Lächeln in seinen Mundwinkeln zuckte –, als sein Vater urplötzlich, ohne jede Vorwarnung, die Hand ausstreckte und ihm einen Stoß versetzte.
    Einen Stoß.
    Die Nacht war schwarz, die Straße völlig leer. Die makabre, mörderische Parabel des Unheils hatte Walter eingeholt und wieder zu Boden geworfen, zum zweitenmal zu Boden geworfen. Mehr Glück hätte er gehabt, wenn es die rechte Seite gewesen wäre, schließlich bestand die ohnehin nur aus Plastik und Leder. Doch soviel Glück hatte er nicht. O nein. Er flog nach links vom Motorrad.

TEIL II
WORLD’S END

    SIMEON: Ganz der Papa.
PETER: Wie aus dem Gesicht geschnitten!
SIMEON: Alle gegen alle!
PETER: Tja ja.
    Eugene O’Neill: Gier unter Ulmen

WIE SACHOES
ÜBERTÖLPELT WURDE
    Diesmal war das Zimmer goldgelb gestrichen, und der Arzt hieß Perlmutter. Walter lag sediert auf dem unbequemen Bett mit beweglichem Kopfteil, Hesh und Lola wachten an seiner Seite, und die gedämpften Töne aus der Gegensprechanlage raunten ihm ins Ohr wie Stimmen von körperlosen Toten. Der linke Fuß, sein guter Fuß, war zu nichts mehr gut.
    Wie er so dalag, die Miene so gelöst wie die eines schlafenden Kindes – es war ihm nichts anzusehen, das Haar aus der Stirn gestrichen, wo Lolas Hand geruht hatte, mit geöffneten Lippen und in den Tiefen jenseits des Bewußtseins flatternden Lidern –, stürmten Träume auf ihn ein. Doch diesmal war alles anders, diesmal blieben seine Träume verschont von höhnischen Vätern, salbungsvollen Großmüttern und bis auf die Knochen ausgemergelten Kadavern. Statt dessen träumte er von einer menschenleeren Landschaft, dunstig und trübe, in der Himmel und Erde ineinander zu fließen schienen und die Luft wie eine Decke war, die sich über sein Gesicht zog. Als er halb erstickt erwachte, beugte sich Jessica über ihn.
    »Oh, Walter«, stöhnte sie mit einem dumpfen Laut des Kummers, der wie Gas aus ihrem Inneren emporstieg. »Oh, Walter.« Aus irgendeinem Grund glänzten ihre Augen feucht, und über ihren zarten Nasenflügeln verlief die Wimperntusche in zwei schwarzen Bahnen.
    Verwirrt blickte sich Walter im Zimmer um, sah die schimmernden Instrumente, den Venentropf, der über ihm hing, das leere Bett neben ihm und das kalte graue Auge des Fernsehers hoch oben in der Ecke. Er starrte auf das fröhliche Gelb der Wand, ein erhebendes Frühstücksnischen-Gelb, und schloß wieder die Augen. Jessicas Stimme drang durch die Dunkelheit zu ihm. »Oh, Walter, Walter ... ich fühle mich so furchtbar schlecht deinetwegen.«
    Schlecht? Seinetwegen? Weshalb sollte sie sich schlecht fühlen?
    Diesmal nahm er nicht ihre Hand, preßte nicht seine Lippen auf die ihren, nestelte nicht an den Knöpfen ihrer Bluse. Er schlug nur abrupt die Augen auf und warf ihr einen giftigen Blick zu, einen Blick voller Groll und Vorwurf, den Blick des Antihelden auf dem Weg zur Tür hinaus; beim Sprechen bewegte er kaum den Mund. »Geh weg«, brummte er. »Ich brauche dich nicht.«
    Erst am späten Nachmittag wurde sich Walter seiner prekären Lage voll bewußt, als er in der infernalischen Hitze seines Invalidenzimmers erwachte, vor dessen Fenster der Schnee stiebte, und Huysterkark grinsend ins Zimmer geschlurft kommen sah. Jetzt, erst jetzt tastete er nach seinem linken Fuß – seinem Lieblingsfuß, seinem kostbaren,

Weitere Kostenlose Bücher