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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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auf ihren Begleiter. »Das ist Joey«, sagte sie.
    Walters Blick schoß zu ihm hinüber wie ein Messer. Joey war jetzt im Zimmer, sah ihn aber nicht an. Er starrte aus dem Fenster. »Joey ist Musiker«, sagte Mardi.
    Joey war angezogen wie Little Richards Kostümdesigner, drei verschiedene, überhaupt nicht zueinander passende Kaschmirmuster und eine tillamookfarbene Krawatte, die ihm bis zum Nabel reichte. Nach einer Weile warf er einen kurzen Blick auf Walter, der ohne Füße in seinem Bett hingestreckt lag, und fragte, ohne jeglichen Anflug von Ironie: »Was tut sich denn so, Alter?«
    Was sich tat? Er war verstümmelt, das tat sich hier. Amputation. Dezimierung des Fleisches, Vierteilung des Geistes, Metastase des Schreckens.
    »Mein Gott!« Mardi saß jetzt auf dem Bettrand, das Cape stand weit offen und gestattete den Blick auf ihre durchsichtige Bluse und alles, was darunter zu sehen war. »Wärst du doch bloß neulich abends mit Joey und Richie und mir mitgekommen – rüber zum Times Square, meine ich ...« Sie führte diesen Gedankengang nicht zu Ende. Ihn weiterzuführen hätte bedeutet, das Unaussprechliche auszusprechen. Sie begnügte sich deshalb mit einer Feststellung über den Mangel an Symmetrie im Kosmos: »Das ist alles so irre schräg.«
    Bis zu diesem Moment hatte Walter kein Wort gesagt. Allerdings hatte er das durchaus noch vor. Er wollte der Empörung Luft machen, die an ihm nagte, wollte sie fragen, was sie sich dabei gedacht hatte, ihn in einem Haus voller fremder Leute allein zurückzulassen, während sie mit diesem blasierten Milchbubi in Beatles-Stiefeln und affigem Schlips nach New York abgerauscht war, wollte sie fragen, ob sie ihn noch liebte, ob sie trotzdem wieder mit ihm ins Bett gehen würde, ob sie die Tür abschließen und die Vorhänge zumachen könnte und dann Joey sagen, er solle sich mal die Beine vertreten, doch sie machte plötzlich ein seltsames Gesicht, und er bremste sich. Langsam ließ sie den Blick über seinen Körper auf dem Bett schweifen, dann sah sie ihm direkt ins Gesicht. »Tut’s weh?« fragte sie leise.
    Es tat weh. O Gott, tat es weh. »Was glaubst du denn?« fragte er zurück.
    In diesem Augenblick stieß Joey einen Juchzer aus, der spöttisch gemeint sein mochte, ebensogut aber auch als Symptom für Schwierigkeiten beim Atmen hätte durchgehen können, und vergrub sein Gesicht in einem gepunkteten Taschentuch von der Größe eines Gebetsteppichs. Walter musterte ihn scharf. Zuckten nicht seine Schultern? Fand er das Ganze etwa witzig, war es denn möglich?
    Mardi nahm Walters Hand. »Also«, sagte sie in dem Versuch, einen Anknüpfungspunkt zu finden, »dann, äh, wirst du jetzt wohl nicht mehr Motorrad fahren können, wie’s aussieht, oder?«
    Verbitterung stieg in ihm auf, schoß durch seine Adern wie heißes Wachs. Motorrad fahren? Mit Glück würde er laufen können, obwohl ihm Huysterkark forsch versichert hatte, in einem Monat wäre er wieder auf den Beinen und im nächsten könnte er dann schon die Krücken weglegen. Keine Krücken. Er konnte es sich vorstellen: ohne Gleichgewicht, ohne Verbindung zum Boden würde er über den Gehsteig wanken wie ein Betrunkener, der barfuß über ein glühendes Kohlenbett ging. Am liebsten hätte er geheult. Und er hätte es auch getan, wäre nicht Joey im Zimmer und die Atmosphäre so betont cool gewesen. Ob Lafcadio geheult hätte? Oder Meursault? »Das war alles deinetwegen«, sagte er plötzlich und mußte ungewollt schlucken. »Es war deine Schuld – du hast mich da allein gelassen, du Miststück!«
    Mardis Miene wurde eiskalt. Sie ließ seine Hand los und stand abrupt vom Bett auf. »Nun schieb das mal nicht mir in die Schuhe«, sagte sie, wobei ihre Stimme einen weiten Sprung die Tonleiter hinauf machte und zwischen ihren Augen eine tiefe Furche erschien. »Da warst du schon selber schuld dran – total besoffen, völlig zugekifft ... Scheiße, du hast uns ja fast umgebracht, als du gegen die Veranda geknallt bist – oder hast du das etwa vergessen, häh? Und falls es dich interessiert, wir haben überall nach dir gesucht neulich – sind mindestens zwanzigmal durch diese bekackte Bude gewandert, stimmt’s, Joey?«
    Joey starrte aus dem Fenster. Er gab keine Antwort.
    »Du verfluchter Vampir!« kreischte Walter. »Leichenschänderin!«
    Eine Krankenschwester steckte den Kopf zur Tür herein, aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen. »Es tut mir sehr leid«, sagte sie im Hereinstürmen, »aber der

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