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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Empfängnis die lebensgroßen Figuren geklaut und sie am Flaggenmast vor dem Denkmal in der Washington Street hochgezogen hatte, wie er einmal beim Treffen der Kriegsveteranen am Heldengedenktag den Wodka mit destilliertem Essig vertauscht hatte; es ging um Sauftouren und Frauen, ums Krebseessen und Kartenspielen – Namen, Orte und Daten, die Walter nichts sagten. Endlich verstummte die schnarrende, atonale Stimme für einen Moment, wie um sich zu sammeln – als wären ihr womöglich am Ende doch die Geschichten ausgegangen –, da warf Piet den Kopf ins Kissen zurück, klatschte sich erregt mit der flachen Hand auf den steinharten Gips und rief einen einzigen, verblüffenden Eigennamen aus, einen Namen, der in Walters Gegenwart seit dem Tode seiner Großmutter nicht mehr genannt worden war. »Sachoes«, sagte der Zwerg mit so etwas wie einem einleitenden Seufzer.
    »Sachoes?« Walter spielte den Ball sofort zurück. »Was war mit dem?«
    Piet bedachte ihn mit einem langen, vergnügten und überaus selbstzufriedenen Blick, wobei er sich gleichzeitig im Ohr bohrte und mit der knorrigen Hand durchs Haar fuhr. »Truman hat von nichts andrem geredet, als ich ihm zum erstenmal begegnet bin damals, wann war das gleich? – 1940, glaube ich, kurz vor dem Krieg. Sachoes hier, Sachoes dort. Weißt schon, der Indianerhäuptling. Dem hat hier alles gehört« – seine Hand beschrieb einen Halbkreis durch den Raum; die Geste deutete wohl den zweifelhaften Wert nicht nur des kargen Krankenzimmers, sondern auch der grauen Landschaft an, deren kahle Baumwipfel vor dem Fenster emporragten –, »bis wir Weiße es ihm weggenommen haben jedenfalls. Verteufelte Sache. Ein paar Monate lang hat sich dein Vater da richtig reingesteigert damals, als könnte man die Geschichte rückgängig machen oder so.« Piet – der häßliche Wasserspeier, der Klabautermann – sah ihm direkt in die Augen. »Kennst du die Geschichte?«
    Walter kannte sie gut – sie gehörte zum Standardrepertoire seiner Großmutter –, und plötzlich sah er das kleine Haus hoch oben über dem Fluß vor sich, eine lähmend kalte Nacht, sein behaarter Großvater hockte vor dem Fenster, zupfte und rupfte an seinem nach Schlick stinkenden Treibnetz wie eine alte Dame an ihrer Stickarbeit, während die Großmutter in einem Wirrwarr von Zeitungspapier auf dem Küchentisch geschäftig Ton modellierte. Sie versuchte sich an etwas Großem – ihrem endgültigen Trash-Art-Kommentar zu Fischen: ein Blumenkasten in Form von drei ineinander verschlungenen Karpfen mit offenen Mäulern. Walter war neun oder zehn – es war der Winter, in dem Hesh und Lola über Weihnachten Urlaub in Miami gemacht und ihn bei seinen Großeltern gelassen hatten. Ein Fernsehgerät gab es nicht – seine Großmutter mißtraute dem Fernseher ebenso wie dem Telefon, vermutete darin neugierige Augen und Ohren, Kanäle, durch die ihre Feindinnen Bosheiten leiten konnten –, aber ein Radio hatten sie. Weihnachtslieder vielleicht, die leise im Hintergrund erklangen. Plätzchen im Ofen. Schnee stob gegen die dunklen, undurchdringlichen Scheiben des großen Erkerfensters, von dem aus man über den Fluß sehen konnte. Oma, sagte Walter, erzähl mir eine Geschichte.
    Ihre Hände – große, fleischige Hände, mit Altersflecken übersät – bearbeiteten den Ton. Sie rollte daraus eine Wurst, formte sie zu einem O und verpaßte dem vorderen Karpfen einen Lippenwulst. Zunächst glaubte er, sie habe ihn nicht gehört, doch dann begann sie zu sprechen, ihre Stimme übertönte kaum das Knistern des Feuers, die Weihnachtslieder, den über das Dach pfeifenden Wind: In jenem Winter, nachdem sie Minewa begraben hatten, war Sachoes, der berühmte sachem der Kitchawanken, in großer Verzweiflung. Eingerieben mit Otterfett als Schutz gegen die Kälte, eingehüllt in das Fell von Konoh dem Bär, starrte er finster ins Feuer, während der Wind lautstark an dem mit Ulmenrinde und Lindenborke gedeckten Dach rüttelte, bis er hätte schwören können, daß ihm alle Gänse dieser Welt um den Kopf flatterten.
    Verzweiflung? fragte Walter. Was ist denn das?
    Warte nur , knurrte sein haariger Großvater, der kurz von seinem zerrissenen Netz aufsah, wirst es bald rausfinden. Nur allzubald.
    Walters Großmutter warf ihrem Mann einen ungehaltenen Blick zu, ritzte unter der Kiemenplatte des mittleren Karpfens eine Dreiergruppe von Schuppen ein und wandte sich wieder an ihren Enkel. Er war traurig und enttäuscht, Walter. Hatte die

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