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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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War am Ende sicher, daß er den Verstand verloren hatte. Er wandte sich von dem grienenden kleinen Homunkulus ab und fixierte betäubt die Brühe auf seinem Tablett; dabei versuchte er verzweifelt, sich seine Sünden zu vergegenwärtigen, und seine Lippen bebten, als ob sie etwas murmelten, das ein Gebet hätte sein können, wäre ihm das Beten nur vertraut gewesen.
    »Was ist denn los?« krähte Piet. »Zunge verschluckt? He, du da! Ich red mit dir.«
    Das Elend lastete derart schwer auf ihm, daß Walter es kaum schaffte, die Augen zu öffnen. Wie hießen doch die fünf Stadien des Sterbens, überlegte er, während er langsam den Kopf wandte: Schock, Wut, Verleugnung, Bewältigung und –?
    Piet, der über sein in die Luft ragendes Bein gebeugt saß wie ein bekümmerter Wasserspeier an einer gotischen Kirche, betrachtete ihn mitleidig. »Nimm’s nicht so schwer, Kleiner«, sagte er dann, »du kommst schon drüber weg. Bist ja jung und kräftig, hast das ganze Leben noch vor dir. Hier« – er streckte einen verkümmerten Arm aus, an dessen verkümmertem Ende eine verkümmerte Hand eine halbvolle Schale mit Wackelpudding hielt –, »willst du meinen Nachtisch?«
    Walters Wut brach mit der vollen Vehemenz einer zubeißenden Schlange heraus. »Was willst du eigentlich von mir?« zischte er.
    Der kleine Kerl war verblüfft. »Ich von dir? Ich will überhaupt nichts von dir – ich biete dir meinen Nachtisch an. Kann sein, daß ich schon ein, zwei Bissen davon gegessen hab, aber was soll’s, ist doch kein Mallör – ich meine, ich bin ja nicht hier, weil ich Beulenpest hab oder so was.« Er zog den Wackelpudding zurück und deutete auf den eingegipsten Fuß, der über ihm schaukelte. »Hab mir den Zeh verstaucht!« grölte er und stieß ein so irres Gelächter aus, daß er nach Luft schnappen mußte.
    Als die Schwester zurückkam, gluckste er immer noch vor sich hin. »Hab ihm grade erzählt, daß ich ... daß ich ... mir ...« – er konnte nicht mehr weiterreden, es war zuviel für ihn. Er war wie ein Luftballon, aus dem alle Luft entwichen war, war von der Komik des Ganzen restlos erschöpft. »Daß ich mir den Zeh verstaucht hab!« brachte er schließlich keuchend heraus und kicherte von neuem.
    Schwester Rosenschweig betrachtete ihn geduldig, während er seine drolligen Verrenkungen vollführte; ihr breites, mit Sommersprossen übersätes Mondgesicht, die herabhängende Unterlippe animierten ihn nur noch mehr. Als er seine Pointe endlich losgeworden war, bemerkte sie als Kommentar nur: »Na, was sind wir heute wieder lebhaft.« Dann wandte sie sich Walter zu.
    »Hey, Schwesterchen!« rief der Zwerg auf einmal, und seine Stimme zwitscherte vor Frohsinn. »Wollen wir ein Tänzchen wagen?«
    Das reichte. Jetzt hatte Walter wirklich genug. »Wer ist dieser Mann?« wollte er wissen. »Was hat er hier zu suchen? Warum in Gottes Namen haben sie den zu mir ins Zimmer gelegt?«
    Schwester Rosenschweig war keine säuerliche Jungfer, wie sie eben hinreichend bewiesen hatte, doch bei Walters Protest verhärteten sich ihre Gesichtszüge. »Wenn Sie ein Einzelzimmer wollen, müssen Sie entsprechend Vorsorge treffen«, sagte sie. »Und zwar im voraus.«
    »Aber – aber wer ist dieser Mann da?« Langsam dämmerte Walter eine Einsicht, mochte er auch noch so verwirrt, elend, betäubt und gepeinigt sein. Und zwar: wenn die Schwester real war – immerhin redete und rechtete sie mit ihm, schien aus Fleisch und Blut und Knochen zu bestehen –, und wenn sie Piets Existenz zugab, dann war entweder die ganze Welt eine Halluzination oder das Phantom im Nachbarbett war kein Phantom.
    »Piet Aukema heiß ich«, schnarrte der Zwerg und beugte sich über die Kluft zwischen den Betten, um ihm die Hand entgegenzustrecken, »und ich freue mich, dich kennenzulernen.«
    Schwester Rosenschweig richtete ihren vernichtend funkelnden Blick auf Walter, der sich widerwillig hinüberlehnte, um die dargebotene Hand zu drücken. »Walter«, brachte er heraus, die Worte blieben ihm im Hals stecken, »Walter Van Brunt.«
    »Na bitte, das ist doch gleich viel besser«, sagte die Schwester und strahlte Walter an wie eine zufriedene Lehrerin, als Piet plötzlich Walters Hand losließ und in seinem Bett hochfuhr. Er schlug sich auf die Stirn und ächzte: »Van Brunt? Hast du eben Van Brunt gesagt?«
    Matt, schwach, beinahe unmerklich nickte Walter.
    »Ich hab’s gewußt, ich hab’s gewußt«, jauchzte der Zwerg. »Sofort, als ich dich gesehen hab, hab

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