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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Haarschopf ein kleiner weißer Strohhut saß. »Bin gerade beim Weggehen«, sagte sie, »aber ich ruf mal kurz nach ihr.« Ihre Stimme steigerte sich zu einem sonoren Brüllen, lang geübt, kraftvoll und vertraut – »Mardi!« rief sie, »Mardi! Da will dich jemand besuchen!« –, bevor sie den Mund nochmals zu einem breiten, lüsternen Grinsen verzog und zur Tür hinaushuschte.
    Für einen Augenblick herrschte eine nervöse Stille, als hielte das alte Haus in dem winzigen Sekundenbruchteil zwischen zwei Atemzügen die Luft an, dann ertönte – quengelig, teilnahmslos und so von Langeweile gezeichnet, daß es beinahe wie ein Jammern klang – Mardis Stimme: »Na und, wer ist es denn – Rick?« Stille. Leiser und gedämpft, als hätte sie bereits das Interesse verloren und sich abgewandt, rief sie dann: »Na, schick ihn rauf.«
    Walter war nicht Rick. Tatsächlich kannte Walter gar keinen Rick, und er war auch nicht scharf darauf. Unsicher und wacklig hob er seine bleischweren Füße, klammerte sich an das Geländer wie an eine Rettungsleine und bewältigte so die Treppe. Mardis Zimmer war das erste rechts. Die Tür, auf der mehr schlecht als recht das knallige Poster einer Popgruppe befestigt war, von der Walter noch nie etwas gehört hatte, stand einen Spaltbreit offen. Er zögerte eine Weile, starrte auf die ausgezehrten, unverschämten Gesichter der Bandmitglieder und versuchte, die schwerfällig dahinpolternden Silben ihres esoterischen Namens auszusprechen. Er überlegte, ob er anklopfen sollte. Der Schnaps nahm ihm die Entscheidung ab. Walter drückte die Tür auf.
    Im Zimmer war es so dunkel wie in der finstersten Höhle, ein leises Grollen von Baß und Gitarre drang aus einem Lautsprecher, Mardi kauerte im Lichtschein, der vom Flur hereinfiel, in der Mitte des Bettes vor einem Aschenbecher. Außer T-Shirt und Slip hatte sie nichts an. »Rick?« fragte sie und blinzelte gegen das einfallende Licht.
    »Nein«, murmelte Walter, der sich jetzt unermeßlich müde fühlte, mächtig besoffen, »ich bin’s, Walter.«
    Das Licht fiel auf ihr Gesicht, auf den wilden zerzausten Haarschopf. Sie hob eine Hand, um sich vor dem Licht zu schützen. »Verdammte Scheiße«, fauchte sie, »mach wenigstens die Tür zu! Mein Schädel fühlt sich an, als ob er gleich auseinanderfliegt.«
    Walter trat ein und schloß die Tür. Es dauerte eine Weile, bis seine Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten; währenddessen gesellte sich dem Klagen von Baß und Gitarre noch ein zittriger, verschwommener Vokalpart hinzu – irgendein Typ, der klang, als hielte er sich beim Singen die Socken vor den Mund. Ein Ton wie vom Boden einer Senkgrube. In der Hölle. »Netter Sound«, sagte Walter. »Wer ist denn das – die Jungs auf der Tür?«
    Mardi reagierte nicht. Ihre Zigarette – oder nein, es war ein Joint, das roch er jetzt – glühte in der Dunkelheit auf.
    Er ging auf das Bett zu, in der Absicht, darauf niederzusinken, vielleicht einen Zug von dem Joint zu nehmen, ihr aus dem T-Shirt zu helfen und eine Zeitlang alles zu vergessen. Nur schaffte er es nicht bis dorthin. Ein hartes Hindernis – die schräge Kante ihres Schreibtisches? – rammte sich in seinen Unterleib, und gleich darauf trat er mit dem Fuß gegen etwas anderes, etwas Zerbrechliches, das auf dem Boden lag und mit splitterndem Krachen nachgab.
    Mardi reagierte noch immer nicht.
    »Also Kopfschmerzen hast du?« sagte er, um sein Gleichgewicht kämpfend, und bückte sich zum Fußende ihrer Matratze hinunter, »oder wie?« Und dann, Gnade und Barmherzigkeit, sank er auf das Bett nieder, endlich nicht mehr auf den Beinen und so nahe neben ihr, daß er die Hitze ihres Körpers spürte, ihr Haar roch, ihren Schweiß und den schwachen, erregenden Duft ihrer Intimsphäre.
    »Ich warte auf Rick«, sagte sie mit einer Stimme, die seltsam fern und verfremdet klang, als wäre sie nicht richtig angeschlossen. »Rick«, murmelte sie noch einmal. Und dann: »Ich bin drauf, total drauf. Fahr nur noch ab. Ich sehe Sachen. Schreckliche Sachen.«
    Walter überdachte diese Enthüllung eine Zeitlang und gestand dann, daß er auch nicht gerade voll auf der Höhe sei. Dies, so hoffte er, würde zu aufbauenden Umarmungen und tröstlichem Sex überleiten, doch gleich darauf zerrannen seine Erwartungen, denn sie sprang vom Bett hoch wie von der Tarantel gestochen, durchquerte den Raum und riß die Tür auf. Ihr Gesicht war wutverzerrt, und in ihren Augen zog sich die Iris kalt und hart um die

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