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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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stecknadelgroßen Pupillen zusammen. »Los, raus!« schrie sie und kreischte das Richtungswort geradezu heraus.
    Der Begriff »ausgerastet« kam ihm in den Sinn, obwohl er nicht wußte, ob er besser auf Mardi oder ihn selbst zutraf. Jedenfalls rappelte er sich schleunigst vom Bett auf, denn er stellte sich den rachedurstigen Depeyster vor, wie er die Treppe heraufstürmte, um nachzusehen, was sein bester Mitarbeiter mit seiner halbnackten, hysterischen Tochter in der Dunkelheit ihres Zimmers anstellte. Als er aber auf die Tür zuwankte, begannen all die Verletzungen und Zerrüttungen des Tages in ihm zu schwären, deshalb blieb er stehen und verlangte eine Erklärung von ihr, etwa in der Art von Ich dachte, wir wären Freunde und Was war denn das vor einem Monat, als wir beide ... und dann ...?
    »Nein«, sagte sie zitternd in ihrem T-Shirt; ihre Brustwarzen hoben sich ab, der Nabel lag frei, ihre Beine waren kräftig, nackt und braungebrannt, »nie wieder. Nicht mit dir.«
    Sie standen einander jetzt Auge in Auge gegenüber, wenige Zentimeter voneinander entfernt. Er sah zu ihr hinunter; ein nervöser Tic hatte ihre rechte Gesichtshälfte erfaßt, ihre geöffneten Lippen waren ausgetrocknet. Urplötzlich überkam ihn der Drang, sie zu würgen, sie zu erdrosseln, diesen perfekten Hals so lange zuzudrücken, bis alle Spannung daraus wich, bis sie aus seinem Griff zu Boden sank wie ein Fisch, den man gegen die Bootskante geklatscht hat. Doch in diesem Augenblick brüllte sie: »Du bist genau wie er!«, und diese Anschuldigung brachte ihn aus dem Konzept.
    »Wie wer?« stotterte er und fragte sich dabei, wovon sie überhaupt redete und womit er sich eigentlich im Verlaufe von nur zwei Minuten derartig verquatscht hatte, und einen ganz kurzen Moment lang fragte er sich sogar, wer er war. Er sah sie scharf an, betrunken, aber wachsam. Sie schwankte leicht. Er schwankte ebenfalls. Ihr Atem fuhr heiß über sein Gesicht.
    »Wie mein Vater!« kreischte sie und ging auf ihn los, schlug mit geballten Fäusten auf den Resonanzkörper seines Brustkorbs ein. Er versuchte, sie bei den Handgelenken zu fassen, aber sie war zu schnell für ihn. »Sieh dich doch an«, fauchte sie und stieß ihn so heftig von sich, daß er beinahe rückwärts über das Geländer getaumelt und unten auf dem erbarmungslosen Parkettboden aufgeschlagen wäre. »Sieh dich an, mit deinem schicken Anzug und diesem beschissenen Kurzhaarschnitt – was denkst du denn, wer du bist, irgend so ein Clubheini oder was?«
    »Mardi?« rief Depeyster von irgendwo im Haus. »Bist du das?«
    Sie stand reglos in der Tür und durchbohrte Walter mit einem Blick, der die letzten verbliebenen Fetzen seiner Selbstachtung zerriß. »Ich sag dir, was du bist«, fuhr sie fort und senkte die Stimme wie ein wütender Stier die Hörner, »du bist genauso ein Faschist wie er. Ein Faschist«, wiederholte sie und dehnte die Zischlaute, als wäre sie Adam, der gerade die Namen aller Dinge lernte – Verräter, Bulle, Spitzel, Faschist –, dann knallte sie mit Nachdruck die Tür zu.
    Na wunderbar, dachte Walter, als er allein im leeren Korridor stand. Er hatte weder Füße noch Vater, keiner liebte ihn, seine Frau lebte mit seinem besten Freund zusammen, und die, um derentwillen er sie verlassen hatte, hatte offenbar für Mussolini mehr übrig als für ihn. Und zu alledem war ihm jetzt speiübel, sein Kopf schmerzte, und an seinem Wagen hing die Stoßstange schief. Was denn noch alles?
    Walter stützte sich auf das Geländer und spähte in den Treppenschacht hinab. Unter ihm, am Fuß der Treppe, in einer alten Arbeitshose und einem verschlissenen blauen Hemd, das zu seiner Augenfarbe paßte, stand Depeyster Van Wart – Dipe –, sein Boss und Mentor. Er hielt irgend etwas in der Hand – es sah aus wie ein Pferdehalfter oder eine Trense – und sah irritiert zu ihm hinauf. »Walter?« fragte er.
    Walter machte sich an den Abstieg. Er zwang sich zu einem Lächeln, obwohl seine Gesichtsmuskulatur wie abgestorben war und er sich fühlte, als würde er gleich entweder ohnmächtig zu Boden gehen oder in einen Weinkrampf ausbrechen – mochte er auch noch so hart, seelenlos und frei sein. Alles in allem hielt er sich recht gut. Als er die letzte Stufe erreichte, grinste er wie ein Kinderschänder, streckte die Hand aus und brüllte: »Hallo, Dipe«, als begrüßte er ihn über das Spielfeld des Yankee Stadium hinweg.
    Einen Moment lang verharrten sie so am Fuß der Treppe. Walter verlor jede

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