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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Kontrolle über sein Mienenspiel, der Gutsherr ließ den Halfter fallen – ja, ein Halfter war es –, um sich am Hinterkopf zu kratzen. »War das eben Mardi?« fragte er.
    »Mm«, machte Walter, doch ehe er diese knappe und gänzlich unzureichende Antwort ausfeilen konnte, schnitt ihm Depeyster mit einem leisen Pfiff das Wort ab. »Meine Güte«, sagte er, »du siehst ja vollkommen fertig aus, weißt du das?«
    Später, nach mehreren Tassen Kaffee im uralten Gewölbe der Küche, in der solche Anachronismen wie Geschirrspüler, Toaster, Kühlschrank und Komfortherd blinkten, genoß Walter die Erlösung der Beichte. Er erzählte Depeyster von Jessica und Tom, von der Halluzination auf der Landstraße, von seiner tiefen Niedergeschlagenheit und der merkwürdigen Konfrontation mit Mardi. Depeyster hörte ihm zu, die ganze Zeit mit einem in Klauenfett getränkten Lappen das Zaumzeug bearbeitend, und sah von Zeit zu Zeit auf, wobei seine aristokratischen Züge priesterlich gelassen, in höchstem Maße unbeteiligt wirkten. Hie und da ermutigte er ihn mit einem fragenden Murren oder einem Einwurf, hörte sich alles an und nahm dann ohne Zögern Stellung. »Ich sage es nur sehr ungern, Walter« – er sprach deutlich, in abgehackten, schneidenden Silben, »– aber das mit deiner Frau klingt, als ob sie übergeschnappt ist. Ich meine, was soll man von jemandem halten, der in eine Baracke zieht, in der es nicht mal elektrischen Strom gibt, geschweige denn fließendes Wasser – und noch dazu mit einem zugekifften Wirrkopf wie diesem Crane? Das ist doch nicht normal, oder?«
    Nein, natürlich war es das nicht. Es war irrational, dumm, ein großer Fehler. Walter zuckte die Achseln.
    »Du hast dich geirrt, Walter, aber jetzt vergiß es. Wir können uns alle mal irren. Und was Mardi angeht – na ja, vielleicht ist das auch besser so.« Depeyster sah ihn lange an. »Ich gebe es zu, Walter, ich hatte gehofft, daß du sie vielleicht, na ja ...« Er brach seufzend ab. »Ich sag das nur sehr ungern über meine eigene Tochter, aber du bist zehnmal so viel wert wie sie.«
    Walter blies den Dampf von seiner fünften Tasse Kaffee und stocherte in einem Stück Pfirsichkuchen. Er fühlte sich jetzt besser, seine Übelkeit war vorerst weg, seine Verzweiflung in Absolution geläutert. Und er empfand noch etwas anderes, eine Ahnung, daß der Augenblick des Triumphes und der Entscheidung kurz bevorstand: sein Leben hatte einen kritischen Punkt erreicht, und nun, so dachte er, zwar immer noch betrunken, aber von einer Art alkoholischer Verzückung ergriffen, war die Erlösung nah. »Weißt du, ich hab doch all diese Briefe an meinen Vater geschrieben«, begann er plötzlich. »Nach Barrow.«
    Falls Depeyster von dieser abrupten Wendung der Unterhaltung überrascht war, so zeigte er es nicht. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und legte das Zaumzeug auf die Zeitung, die er vor sich über den Tisch gebreitet hatte. »Ja«, sagte er, »und was ist damit?«
    »Ist nie was zurückgekommen.« Walter machte eine Pause, um diese Feststellung wirken zu lassen.
    »Du glaubst also, er lebt da oben, ja?«
    »Allerdings. Aber ich will es genau wissen.« Walter hob die Tasse zum Mund, setzte sie jedoch in seiner Erregung wieder ab, ohne getrunken zu haben. »Ich habe was gespart. Ich werde da hinfliegen.«
    »Walter, hör mal zu«, begann Depeyster, »das finde ich großartig, einfach wunderbar – aber hast du dir das auch gut überlegt? Was ist, wenn er doch nicht dort lebt? Dann hast du viel Zeit und Geld verschwendet. Und wie fühlst du dich dann ? Oder was ist, wenn er nicht mit dir reden will? Oder wenn er sich verändert hat? Du weißt ja, daß ihm der Alkohol zu schaffen gemacht hat. Wenn er nun ein Säufer ist, der in der Gosse lebt? Sieh mal, ich will dir ja nicht den Mut nehmen, aber glaubst du nicht, er hätte auf deine Briefe geantwortet, wenn er dich wirklich wiedersehen wollte? Das ist doch jetzt elf, zwölf Jahre her, oder? Da kann eine Menge passiert sein, Walter.«
    Walter hörte ihm zu – Dipe wollte nur sein Bestes, das wußte er. Und er war ihm dankbar dafür. Trotzdem mußte er hin. Er hatte Depeyster nichts von der Gedenktafel erzählt – der hätte nie geglaubt, daß es kein normaler Unfall gewesen war –, jedenfalls war die Tafel jetzt weg: demoliert, zerstört, ausradiert. Es gab nichts mehr, was ihn hier noch hielt – weder Hesh und Lola, noch Mardi, Jessica, Tom Crane oder Laura Egthuysen. Mit dieser Gedenktafel hatte

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