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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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würde ihn finden – bei der Höhle oder unten am Bach, lange konnte es nicht dauern –, und dann würden sie gemeinsam davonlaufen. Nur sie beide. Über den Fluß, irgendwohin, wo sie für sich leben konnten, jagen und fischen, weit weg von patroons, schouts , Pachtmieten, Prangern und alledem – weit weg von vader. »Jeremy!« rief er, während die Eule sich in die Lüfte schwang und die Nacht den Tag vertrieb.
    Er konnte nicht wissen, daß sein schnellfüßiger Gefährte mit dem dunklen Teint inzwischen längst außer Hörweite war, so daß selbst eine donnernde Salve von einem der Kriegsschiffe Seiner Majestät ihm nicht mehr ans Ohr gedrungen wäre. Unermüdlich, unbeirrbar, verbissen und kompromißlos, mit glatten, fließenden Bewegungen, pausenlos fluchend hatte van den Post seine Beute gejagt – die Hügel hinauf und die Täler hinab, durch Dornen und Dickicht, über Sümpfe, Bäche und Moränen hinweg. Doch Jeremy sah den Pranger vor sich, die Löcher für Hände und Füße, die sich in dem festen Kiefernholz aufgetan und ihn erwartet hatten, und er war verzweifelt. Mit regelmäßigen Atemzügen, mit stampfenden Beinen und fliegenden Armen raste er wie ein Schatten durch den Wald und führte van den Post unter umgestürzten Baumriesen hindurch, Bachbetten entlang, wo man sich leicht den Knöchel vertrat, und Abhänge hinauf, die selbst eine Bergziege erschöpft hätten. Doch er floh nicht blindlings: bei alledem verfolgte er einen Plan.
    Er kannte diese Wälder wie kein Erwachsener – wie kein Quallenfresser sie jemals zu kennen hoffen durfte –, und sein Ziel war das unwegsame Sumpfland, das die Kitchawanken Neknanninipake nannten: Hat-kein-Ende. Es war ein Ort, an dem selbst mittags Finsternis herrschte, ein Ort der schwimmenden Inseln und Grashügel inmitten eines Morasts, der einen langsam bis zum Bauch abwärts zog und nie wieder freiließ. Es war ein Ort, der Jeremy Mohonk so vertraut war wie den Schlangen und Fröschen. Ein Ort, an dem selbst der Quallenfresser aufgeben müßte.
    Als er den Rand des Sumpfes erreichte – Stinkkohl, schwarzer Schleim, der bis zu den Knöcheln reichte –, machte Jeremys Herz einen Freudensprung. Bis er in wirklich gefährlichem Gebiet war und behende von Graskuppe zu Graskuppe hüpfte, war van den Post weit zurückgefallen, tappte irgendwo im Schlamm herum und fluchte virtuos vor sich hin. Fünf Minuten später war auch kein Geräusch mehr zu hören außer dem Quaken der Frösche und dem schlichten Ruf der Teichrohrsänger, die durch die dichten Baumwipfel huschten. Aber Jeremy hielt nicht inne. Er durchquerte den Sumpf, trocknete seine Kleider und lief weiter – lief nach Norden, auf ein Ziel zu, das für ihn nur eine vage Erinnerung war: ein Ort, der schon seiner vergessenen Mutter Zuflucht geboten hatte, als sie von seinem vergessenen Vater im Stich gelassen worden war. Er wußte nicht, wo sich das Dorf der Weckquaesgeeks befand, kannte den Stamm nur als einen Haufen von zerlumpten, pockennarbigen und bandagierten Bettlern, die sich zweimal im Jahr auf der Veranda von Jan Pieterses Laden drängten, und auch die Geschichte seiner Eltern kannte er nur in äußerst groben Zügen, doch irgendwie fand er zu dem Lager am Suycker Broodt.
    Es war spät. Hunde bellten ihn an. Kochfeuer glommen in der Wildnis des Waldes. Drei Krieger, nicht viel älter als er, traten ihm entgegen, die Wachen am Eingang zum Dorf jenes ungeschickten, vom Pech verfolgten Stammes: der erste hatte nur eine Hand, dem zweiten fehlte ein Ohr, und der dritte humpelte auf einem verwachsenen Fuß. Sie starrten ihn schweigend an, bis sich der Rest des Dorfs mit Kind und Kegel zusammengeschart hatte. »Was willst du?« wollte Eine-Hand in seinem Handelsposten-Holländisch wissen, doch Jeremy, der Verächter der Wörtersprache, antwortete nicht. Eine-Hand wiederholte die Frage, und wieder sagte Jeremy nichts. Als der Krieger in seiner Hilflosigkeit schließlich zum Messer griff, wurde Jeremy klar, daß er, selbst wenn er die Frage hätte beantworten wollen, selbst wenn ihm die Worte verfügbar gewesen wären, keine richtige Antwort darauf wußte. Was wollte er eigentlich? Er wußte es nicht.
    Dann jedoch kam eine alte Frau herangeschlurft, legte den Kopf schief und musterte ihn aus Augen, so verhangen wie ein Wintertag. Sie ging zweimal um ihn herum und starrte ihm nochmals ins Gesicht, stand so dicht vor ihm, daß er das Leder roch, das sie mit den Stümpfen ihrer abgenutzten Backenzähne

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