Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
wohl bewußt war, daß die Reiter voll auf sie zuhielten, denen wohl bewußt war, daß sie ein Unrecht begingen, über das der patroon zweifellos sehr ungehalten sein würde, folgten ihm. Hätte man sie angehalten – vielleicht Robideau oder Goody Sturdivant –, um nach dem Grund dafür zu fragen, sie hätten ihn nicht gewußt. Es lag einfach in der Luft. Es war elektrisierend. Es war der Wille des Mobs.
    Die Reiter erreichten die Menge kaum zehn Meter vor dem Pranger. Die Pferde wühlten mit ihren Hufen den Boden auf, Erdklumpen wirbelten durch die Luft. »Halt!« stieß der patroon hervor. Sie blickten zu seinem Gesicht auf, und was sie dort sahen, war Mordgier. Sein Pferd tänzelte und stampfte, während er sich abmühte, mit den Duellpistolen seines verstorbenen Vaters – in jeder Hand eine – auf die Menge zu zielen. Neben ihm, an seine scheckige Mähre geklammert wie ein Blutegel, kam van den Post, der inzwischen sein Rapier wiederhatte und es umherschwenkte, daß es in der Sonne blitzte. Neben ihm war ein dritter Reiter, ein Fremder, der im Sattel so klein wie ein Achtjähriger wirkte, das verhutzelte Gesicht zu einem spöttischen Lächeln verzogen, die winzige, knotige Faust um den Lauf einer Muskete geschlossen. Normalerweise hätte man natürlich über den Auftritt dieses Fremden zumindest getuschelt – jeder Fremde wäre ein Thema gewesen, aber ganz besonders ein so häßlicher, zaundürrer kleiner Rettich wie dieser –, doch es blieb keine Zeit zum Nachdenken, geschweige denn zum Schwatzen.
    »Wer noch einen Schritt weitergeht, der wird von meiner Hand getötet!« brüllte der patroon.
    Sie blieben stehen. Allesamt. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind. Mit Ausnahme von Jeremias, der nicht einmal kurz innehielt, keinen Moment zauderte. Die Augen fest auf das leidende Gesicht seines Sohnes geheftet, marschierte er direkt auf den Gutsherrn zu, als sähe er ihn nicht. »Halt!« kommandierte der patroon so gepreßt, daß ihm dabei die Stimme versagte, und beinahe gleichzeitig feuerte er.
    Aus der Menge gellte ein Schrei, während Wouter, ohnmächtig, unbeachtet und elfeinhalb, ebenfalls einen klagenden Schrei ausstieß, und die dicke Mrs. Sturdivant zum drittenmal in zwei Tagen umfiel. Massig. Wie ein Donnerschlag. Mit dem ganzen dramatischen Effekt einer Phädra oder einer Niobe. Auf einmal herrschte heillose Verwirrung: Frauen kreischten, Männer hechteten in Deckung, der junge Billy Sturdivant warf sich über den dahingestreckten Koloß, und der patroon senkte den Kopf wie jemand, der einen unverzeihlichen Fauxpas begangen hatte. Wie sich jedoch herausstellte, war Goody Sturdivant nicht getroffen. Ebensowenig übrigens Jeremias. Die Kugel hatte vor dem makellosen Rist von Cadwallader Cranes frisch gewichstem Stiefel eine Grassode aufgewirbelt und sich harmlos zwischen Engerlingen und Würmern in die Erde gebohrt.
    Jeremias marschierte weiter. Er schob sich am Pferd des Gutsherrn vorbei, unbeirrbar wie ein Schlafwandler, und stürzte auf den Pranger zu. Ehe der zornentbrannte patroon noch die zweite Pistole heben konnte, hatte Jeremias breits den Riegel zurückgeschoben und den Querbalken über den Handgelenken seines Sohnes hochgehoben. Er packte gerade den unteren Balken, als der patroon erneut schoß.
    Diesen Augenblick sollte Wouter für den Rest seines Lebens nicht mehr vergessen; kein Schrecken sollte daran je wieder heranreichen, kein Alptraum oder Trauma. Er schrie ein zweites Mal, strampelte wild mit den Beinen, obwohl sie noch feststeckten. Er sah, wie die Hände seines Vaters sich um den Balken schlossen. Sah sie zupacken. Und erstarren. Als wäre sein Vater plötzlich zu Stein geworden. War er getroffen? War er tot?
    Es war windstill, der Tag hing auf dem Scheitelpunkt des Nachmittags in der Schwebe, verströmte die Stille von Äonen. Niemand rührte sich. Niemand sprach. Dann eine sanfte Brise. Sie wehte vom Fluß herauf und trug den Geruch der Sumpfauen mit sich – Wouter spürte sie in seinem Haar –, und sie riß seinem Vater den Hut vom Kopf.
    Jemand keuchte, und Jeremias wandte sich langsam zu ihnen um, sah zu dem bleichen patroon und den Männern und Frauen, die vor Schreck die Hände vor den Mund gepreßt hielten. Unendlich langsam richtete er sich auf und ging vorwärts – einen Schritt, zwei Schritte, drei –, bis er im Schatten jenes mächtigen Mannes stand, der mit wehender Bundhose dort oben im Sattel saß, und da bemerkte Wouter seine veränderte Miene. Vader machte ein

Weitere Kostenlose Bücher