Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Gesicht, das er nicht deuten konnte – das dort war sein Vater, und er war es doch auch nicht, als hätte in dem Augenblick, als der Schuß losging, irgendein Geist oder Dämon von seiner Seele Besitz ergriffen. Sein Ausdruck – es war nicht Angst oder Resignation, sondern ein Ausdruck der Unterwerfung, der uneingeschränkten, jämmerlichen Unterwerfung – schmerzte Wouter mehr als alle Pranger und Gutsherren der ganzen Welt ihn je hätten schmerzen können. Und dann, bevor er reagieren konnte, war vader auf den Knien und flehte mit weinerlichem Krächzen den patroon um Vergebung an.
    Wouter wollte sich abwenden, doch er konnte nicht. Der Schuß war fehlgegangen, sein Vater war unverletzt, und eben noch hatte ihn erlösende Freude durchströmt. Jetzt aber wandelte sich die Freude in Ungläubigkeit und Verwirrung, in tiefe, bleibende Scham. Alles, was sein Vater ihn gelehrt hatte, jedes Wort davon, war gelogen gewesen.
    »Ich flehe Euch an«, schluchzte Jeremias, endlich gebrochen, gezähmt wie ein widerspenstiges Pferd oder Maultier. »Ich flehe Euch an, laßt mich ...« hier wurde seine Stimme beinahe unhörbar, »laßt mich Euch dienen.«
    Die Miene des Gutsherrn blieb unbewegt. Er betrachtete die rauchenden Pistolen, als wären sie aus dem Nichts aufgetaucht, durch irgendeine Hexerei. Nach einer Weile ließ er sie zu Boden fallen und schwang sich vom Pferd. Hinter ihm spannte der Zwerg seine Muskete, und van den Post musterte die eingeschüchterte Menge grimmig, als wollte er sie warnen, sich ja nicht zu rühren.
    »Und uns bleiben zu lassen, bitte laßt uns bleiben«, fuhr Jeremias fort, seine eben noch so donnernde Stimme war nur mehr ein Jammern, ein Jaulen. »Wir haben den Hof unser Leben lang bewirtschaftet, er ist das einzige, was wir haben, und Ihr müßt uns, ich flehe Euch an, es tut mir leid, ich wußte nicht ...«
    Stephanus gab keine Antwort. Er ging einen Schritt auf ihn zu, hatte jetzt die Beherrschung wiedergefunden, die prächtigen Nasenflügel bebten vor Geringschätzung, er hob das Knie und streckte den Fuß aus. Er erwartete die endgültige Unterwerfung. »Wem gehörst du?« fragte er mit unbeugsamer Stimme, mühelos das Gleichgewicht haltend.
    »Euch!« stieß Jeremias hervor und starrte wie gebannt auf den blitzenden Schuh.
    »Und wem gehören deine Frau und dein Sohn und dieser Bastard von Halbindianer?«
    Jeder einzelne der Pächter beugte sich vor, um die Antwort zu hören. Jeremias Van Brunt, der Hitzköpfige, der Stolze und Eitle, der Erbe des wahnsinnigen Harmanus und des noch wahnsinnigeren Nysen, stand kurz davor, seine Mannhaftigkeit zu verleugnen. Seine Stimme war ein Flüstern. »Euch«, sagte er.
    »Gut.« Der patroon reckte sich, gleichzeitig ließ er den Fuß zu Boden sinken, hob ihn wieder und stieß ihn Jeremias voll ins Gesicht. Die Gewalt des Tritts ließ den Kopf des Bittstellers zurückfliegen und streckte ihn mit blutverschmiertem Mund rücklings zu Boden. »Ich will deine Dienste nicht«, zischte der patroon. Und mit einer Geste zu van den Post, der abgesessen war und jetzt mit gezogenem Rapier neben ihm stand, vollendete er seinen Gedanken: »Ich will dein Blut.«
    Zwar kam es an jenem Nachmittag zu keinem weiteren Blutvergießen, doch Jeremias mußte mit seinem Sohn den Platz tauschen und fast eine Woche lang Tag und Nacht am Pranger stehen. Es war eine schmerzvolle Woche. Sein Rücken brannte, die Beine starben ihm ab, Hand- und Fußgelenke waren wundgescheuert, denn das Gewicht seines erschöpften Körpers zerrte sie tief in die Holzlöcher, sein Gesicht war von Mückenstichen verschwollen, die Knochen entzündeten sich. Staats und Douw hielten bei ihm Wache, damit sich kein Feind – ob Mensch oder Tier – dem Wehrlosen näherte, und sowohl Neeltje als auch moeder Meintje brachten ihm Speis und Trank. Die übrigen Nachbarn, selbst Robideau, ließen ihn in Ruhe. Wo sie herkamen, stellte man einen Missetäter nicht nur an den Pranger, sondern obendrein kamen seine Feinde in Scharen, um ihn zu verhöhnen und mit Steinen, Abfällen, toten Katzen und Ratten oder fauligem Fisch zu bewerfen. Die Nachbarn hier jedoch hatten kein Interesse daran. Sie hegten keinen Groll gegen Jeremias, und obwohl die meisten fanden, er habe seine Strafe verdient – »Zu hochmütig ist er«, hörte man Goody Sturdivant befinden, »einfach viel zu hochmütig« –, empfanden sie auch zugleich eine gewisse Sympathie für ihn, mochte sie auch schwach sein und nur periodisch aufkommen.

Weitere Kostenlose Bücher