Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Irgendwo tief im Innern waren sie alle wütend auf den jungen Gutsherrn in seinen eleganten Kleidern, und beim Zertrampeln seines Gartens, beim Zusammenrotten hinter ihrem einbeinigen Vorkämpfer war diese geheime Wut zutage getreten wie ein peinlicher Charakterzug.
    Wohl litt Jeremias auch unter der gnadenlosen Sonne, die ihm ins Gesicht brannte, unter dem kalten Morgenwind, der ihm in die Knochen fuhr, doch das Leiden seiner Seele war ungleich größer. Er war ein Niemand, das wußte er jetzt. Er war ein Pachtbauer, ein Sklave, ein Leibeigener wie seine Eltern vor ihm. Alles, wofür er gearbeitet, alles, was er sich aufgebaut hatte, seine ganze Würde und Zähigkeit, all das war nichts wert. Das hatte ihm der patroon bewiesen. Da predigte er seinen Söhnen, prahlte und spielte den starken Mann vor ihnen – und wozu? Um dann vor Van Wart auf den Knien zu kriechen? Den Rest seines kläglichen Lebens würde er nur noch eine leblose Hülse sein, ein Mensch ohne Kern, um keinen Deut besser als Oothouse oder Robideau oder all die anderen – das wußte er jetzt.
    Und Wouter wußte es auch.
    Als sie ihn freiließen, als van den Post herangeschlendert kam, um den Balken aufzuklappen, der ihn festhielt, stürzte er sich nicht in Großvater van der Meulens Arme; er rannte nicht nach Hause, wo seine Mutter gramgebeugt vor einem Haufen Flachs hockte und Großvater Cats unruhig auf der Veranda hin und her ging – nein, er rannte davon wie ein Sprinter, wie ein Hund, dem man einen Topf an den Schwanz gebunden hatte, flitzte über die Wiese und durch die Maisstauden direkt auf die Lücke zwischen den Bäumen zu, durch die sein Vetter bei seiner frühmorgendlichen Flucht verschwunden war. Er sah sich nicht um. Als er den Waldrand erreicht hatte, rannte er weiter – hundert, zweihundert Meter noch –, dann brach er in den Büschen zusammen und wünschte sich nichts sehnlicher, als daß er auf der Stelle tot wäre, daß die Erde sich öffnen und ihn verschlingen oder der Himmel sich in Stein verwandeln möge. Aufgewühlt von dem Verrat – wie hatte sein Vater so tief sinken können? wie hatte er ihm dies antun können? – tastete er nach irgendeiner Waffe, nach einem Stein zum Verschlucken oder einem Stecken, mit dem er sich die traurigen Augen ausstechen konnte.
    Wie lange er so dalag, wußte er nicht. Als er wieder zur Besinnung kam, war auf den schrecklichen Feldern hinter ihm alles still, und über den Wald breitete sich das Bahrtuch des Abends. Irgendwo klopfte ein Specht an einem hohlen Baum, ein einsames, zufälliges Pochen, das ihm in seiner Unablässigkeit bis ins Mark fuhr. Langsam und unsicher erhob er sich, als schwankte der Boden unter seinen Füßen, und blickte sich verwirrt um. Er sah weder Blätter noch Bäume, keine Hügel, Felsen, Lichtungen oder Bäche, er sah nur das Bild seines Vaters, wie er vor dem Gutsherrn wie vor einem Götzenbild niederkniete. Er hörte das bettelnde Winseln seines Vates, sah das Blut auf seinen Lippen. Warum? fragte er sich. Warum hatte vader sich nicht erhoben und diesen selbstgefälligen Dandy mit den affigen Lederschuhen und dem Seidenwams so lange gewürgt, bis das Leben aus ihm gewichen war? Warum hatte er nicht seine Scheune niedergebrannt, die Rinder davongescheucht und sich brüllend in die Wälder geflüchtet wie Wolf Nysen? Warum hatte er nicht einfach seine Sachen gepackt, um irgendwo in New York, Connecticut oder Pavonia von vorn anzufangen? Und wenn das alles nicht in Frage kam, warum war er dann nicht gleich zum Arbeitseinsatz an der Straße gekommen?
    Weil er ein Feigling war, deshalb. Weil er ein Dummkopf war.
    Während ringsum die Nacht herankroch, wurde Wouter plötzlich von einem heftigen Drang erfaßt: er mußte Jeremy finden. Jeremy war alles, was er hatte. Jeremy war ihm Hoffnung und Erlösung. Nur Jeremy hatte ihnen widerstanden, Jeremy allein – weder ließ er sich an den Pranger des patroon stellen noch sah man ihn bei Straßenarbeiten für den patroon. Eine Stunde nach ihrem Wettlauf in den Wald war der Quallenfresser mit leeren Händen zurückgekommen, an Gesicht und Unterarmen zerschunden vom Dornengestrüpp und Stachelgesträuch, die Kniehosen bis oben schlammverkrustet, das Hemd zerfetzt und die Strümpfe hinabgerutscht. Und Jeremy? Der war irgendwo hier im Wald, niemandes Gefangener und niemandes Diener.
    »Jeremy!« rief Wouter, während er sich durch ein Meer von Berglorbeer kämpfte, und vor Aufregung versagte ihm fast die Stimme. »Jeremy!« Er

Weitere Kostenlose Bücher