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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Füßen. Eins, zwei, drei, vier, die Tür ging auf – ein bullernder Ofen, ein gemachtes Bett, auf dem Regal Einmachgläser mit diesem und jenem –, und sie stand vor ihm.
    »Walter.« Es klang, als identifizierte sie ihn bei einer Gegenüberstellung bei der Polizei. Er sah die Überraschung und die Bestürzung auf ihrem Gesicht, und er grinste noch breiter. Sie hatte Jeans, knöchelhohe Männerturnschuhe und einen gerippten Strickpullover an. Das Haar trug sie offen, und ein Pony – frisch geschnitten, die Frisur einer Folk-Sängerin – verbarg ihre hohe weiße Patrizierstirn. Gut sah sie aus. Sogar sehr gut. Sie sah aus wie die Frau, die er geheiratet hatte.
    »War gerade zufällig in der Gegend«, witzelte er, »und da dachte ich, ich komm mal vorbei, um hallo zu sagen oder vielmehr um mich zu verabschieden –«
    Sie rührte sich immer noch nicht, die Tür schwebte in den Angeln, und eine Sekunde lang schien ihm, als wollte sie ihm die Tür ins Gesicht knallen, ihn abkanzeln, hinauswerfen wie einen dieser jovial schwätzenden Staubsaugervertreter. Doch dann veränderte sich ihre Miene, sie trat einen Schritt zurück und sagte, vielleicht ein wenig zu munter: »Na ja, komm erst mal rein bei der Kälte.«
    Und dann war er drinnen.
    Sobald sie die Tür geschlossen hatte, ergriff jedoch beide große Unsicherheit – sie standen in einer Zelle, einer Kiste, einer Höhle, die keinen Ausweg bot; sie wußten nicht, was sie mit ihren Händen tun und wohin sie blicken sollten, ob sie sich setzen oder stehenbleiben oder was sie sagen sollten. Er lehnte mit dem Rücken an der Tür. Sie stand einen knappen Meter von ihm entfernt, ihr Gesicht so blaß wie damals, als sie auf einer Wiese in den Catskill Mountains eine sonnenwarme Melone aufgeschnitten hatte und das Messer abgerutscht und in ihre Hand gefahren war. Sie hielt den Kopf gesenkt, die Arme vor sich verschränkt. Ob das eine peinliche Situation war? Allerdings.
    Jessica fand als erste die Fassung wieder. Sie drehte sich um, huschte davon und bückte sich geschickt, um den einzigen Sessel im Raum von seiner aus Hüten, Jacken, Shitpfeifen, Käsereiben, Taschenbüchern und diversen anderen Siebensachen bestehenden Last zu befreien, wobei sie aufgriff, was er eben an der Tür gesagt hatte: »Verabschieden? Wieso – ziehst du etwa weg von hier?«
    Und so bekam er Gelegenheit, sich in den entleerten Sessel zu setzen und ihr von seiner bevorstehenden Reise ins Herz der Polarnacht zu berichten, ein paar Witze über Iglus und Eisbären zu reißen und sie in gespieltem Ernst zu fragen, ob sie nicht einen Hund wüßte, den er mitnehmen könnte, um sich in seinem Fell die Hände zu wärmen. »Aber mal ehrlich«, fuhr er fort, von ihrem Lachen ermutigt, »brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen – ich bin ja kein Grünschnabel. Ich meine, ich weiß ’ne Menge über Alaska aus Jack London. Zum Beispiel werde ich auf gar keinen Fall aus dem Motelzimmer in die Kneipe rübergehen, ehe ich nicht ausgespuckt habe.«
    »Ausgespuckt?«
    Er sah kurz über die Schulter, als gäbe er ein streng gehütetes Geheimnis preis, und lehnte sich dann vor. »Mm-mh«, machte er und senkte die Stimme. »Also, wenn die Spucke gefriert, bevor sie am Boden ankommt, dann geht man am besten zurück ins Bett und wartet bis zum Frühling.«
    Lachend bot sie ihm ein Glas Wein an – von dem essigartigen Gebräu, das Tom Crane seit zwei Jahren zusammenpanschte – und setzte sich an den Tisch vor dem Fenster, wo sie beim Zuhören eine Perlenkette auffädelte. Es schien ihm ein gutes Zeichen, daß sie sich ebenfalls ein Glas eingeschenkt hatte.
    »Weißt du«, sagte er plötzlich, »damals im Krankenhaus, da lag ein Typ im Bett neben mir ... ein Zwerg war das, glaube ich. Oder ein Liliputaner. Ich weiß nie, was der Unterschied ist.«
    »Zwergwüchsige sehen ganz normal aus, nur so klein wie Kinder«, sagte sie und zeigte mit den Händen die Körpergröße. »Aber die Proportionen stimmen.«
    »Na, dann war der Typ ein Liliputaner. Er war alt. Und sein Kopf war riesig, Nase und Ohren viel zu groß, und so weiter.« Er machte eine Pause. »Piet hat er geheißen. Er hat meinen Vater gekannt.«
    Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, dann konzentrierte sie sich wieder auf ihre Handarbeit und zog mit den Zähnen einen Kunststoffaden von der Spule.
    »Von dem hab ich erfahren, daß er in Alaska ist.«
    »Also darum geht es«, sagte sie und sah ihn direkt an. »Um deinen Vater.«
    Walter drehte das Glas in

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