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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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weichgekaut hatte. »Squagganeek«, sagte sie und drehte den Kopf, um auszuspucken.
    Nach kurzer Pause nahm einer der Umstehenden den Namen auf, ein so verhutzelter, dreckverkrusteter Greis, als hätte man ihn eben erst zu diesem Anlaß aus der Erde gegraben. »Squagganeek«, krächzte er, und dann probierte es jeder einmal, wie Kinder mit einem neuen Spielzeug, wiederholten sie das Wort immer wieder in leisem, zärtlichem, rhythmischem Gesang.
    Wouter fand ihn an jenem Abend nicht und am darauffolgenden ebensowenig. Und selbst in seiner abgrundtiefen Angst und Enttäuschung, bei all seiner Verzweiflung und Mutlosigkeit hätte er niemals geglaubt, daß es achtzehn Monate dauern würde, ehe er seinen Vetter wieder zu Gesicht bekommen sollte. Irgendwann kehrte er nach Hause zurück, weil ihm nichts Besseres einfiel – nach Hause zu seiner Mutter. Sie versorgte seine zerschundenen Handgelenke und Knöchel, gab ihm zu essen und brachte ihn ins Bett. Mit der Zeit verheilten die Wunden. Einige davon jedenfalls. Doch sein Vetter war fort, und das war wie der Verlust eines Gliedes, das man ihm ausgerissen hatte. Und sein Vater – einen Vater hatte er nicht mehr. Gewiß, der Mann, der dort massig im Schaukelstuhl aus Birkenholz saß oder auf der Wiese mit nacktem Oberkörper das Heu mähte und zu Ballen band, sah aus wie sein Vater, aber er war es nicht. Der tat nur so. Das war ein Mann ohne Rückgrat, ein Mann ohne Konturen und ohne Überzeugungen, er trieb durch sein Leben wie eine Qualle durch den Ozean, die nur auf den Schiffbrüchigen wartete, der sie aus dem Wasser reißen und fressen würde.

ACH, SÜSSES LEID!
    Der Weg war beschwerlich – sehr beschwerlich, oft sogar gefährlich –, und Walter gelang es nur mit größter Mühe, sich Schritt für Schritt den Pfad hinabzutasten, indem er sich an tiefhängenden Zweigen, biegsamen Gerten und verkrüppelten Büschen, die ihm wie Katapulte aus der Hand schnellten und einen klebrigen Rückstand auf der Haut hinterließen, wie am Sicherungsseil eines Bergführers entlanghangelte. Letzte Nacht hatte es geregnet, deshalb war der Pfad glitschiger als ein Aalrücken – oder auch ein Aalbauch. Und das Herbstlaub machte es auch nicht besser. Massenhaft lagen sie herum, klebten aneinander, gelbe, rote und orange Blätter, schmuddlig braun wie zerfallende Zeitungen, wie nasser Leim auf der Erde. Es mochte Tage geben, an denen das Leben ihn vergessen ließ, daß er nur durch die Vermittlung von zwei geformten Plastikklötzen die Verbindung mit dem Boden aufrechterhielt, doch heute war keiner davon.
    Trotzdem stellte er sich kein einziges Mal die Frage, warum er sich ausgerechnet am Tag vor der Abreise nach Fairbanks, Nome, Nordalaska, an diesem einunddreißigsten Oktober, an Halloween, mit letzter Anstrengung den Hügel zu jener unseligen Weide hinunterquälte, von der der Pfad über den Steg zu Tom Cranes winziger, nach Ziegen stinkender Hütte führte. Die Antwort auf diese Frage war insofern kompliziert, als er mehrfach bemerkt und im Laufe der vergangenen Wochen auch akribisch verifiziert hatte, daß an jedem Tag der Woche zu ebendieser Stunde zwar die Radkappe am gewohnten Platz ihren Gruß entbot, der Packard – Tom Cranes Packard – jedoch nicht da war. Und wie als logische Erklärung für diese Tatsache stand zu diesen Zeiten der Käfer – Jessicas VW-Käfer – reglos und einladend, ja geradezu provokant am Straßenrand unter der Radkappe.
    Aber nein, er stellte sich keine Fragen, dachte nicht nach. Er hatte keinen Grund dazu. Seit jenem läuternden Nachmittag Mitte August, seit jenem Nachmittag im »Garten Eden« war er in eine neue, berauschende Phase seines Lebens getreten, in der er lieber handelte als überlegte, seine Dämonen als das akzeptierte, was sie waren, und sich von seinen Impulsen leiten ließ, wohin sie ihn eben leiten mochten. Am nächsten Vormittag würde er nach Barrow abfliegen. Jessica war allein zu Hause. In der Hütte. Abgeschnitten von der Welt. Isoliert. Ohne Wasser, elektrischen Strom, sanitäre Anlagen, ohne Telefon. Er wollte sie bloß mal besuchen, sonst nichts.
    Nur diese Füße!
    Verdammt, und jetzt saß er auf dem Arsch. Im Dreck. Breiweiches Laub klebte ihm im Gesicht, der Wald miefte nach Schimmel und Fäulnis, nach modernden Blättern und irgendeinem verendeten Eichhörnchen oder Stinktier, das im Gebüsch unmerklich zu Humus verweste. Wütend packte er einen Ast und zog sich daran hoch. Seine neue Levi’s war am Hintern

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