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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den Händen, als wollte er es anwärmen. Grinsend starrte er auf den Boden. »Na ja, es ist zwar jetzt nicht gerade die beste Jahreszeit für einen Urlaub da oben, kannst du dir ja vorstellen. Ich meine, da frieren den Leuten die Nasen ab, Ohrläppchen werden schwarz, Zehen fallen ab wie im Herbst die Blätter ...«
    Wieder lachte sie – ein vertrautes Lachen, ein Lachen, das ihm Hoffnung gab.
    Er blickte auf, grinste nicht mehr. »Ich hoffe ihn dort aufzuspüren. Ich will ihn finden. Mit ihm reden. Immerhin ist er mein Vater, nicht wahr?« Und dann erzählte er ihr von den Briefen, die er losgeschickt hatte – manchmal zwei oder drei pro Tag –, wie er innerhalb von zwei Monaten elf Jahre wettzumachen versucht hatte. »Ich hab ihm geschrieben, alles ist in Ordnung, lassen wir die Vergangenheit ruhen, und daß ich ihn einfach nur sehen möchte. ›Lieber Dad!‹ Ich hab tatsächlich jeden Brief mit ›Lieber Dad‹ angefangen.«
    Er trank den Wein aus und stellte das Glas auf einer Schachtel mit alten Zeitschriften ab. Sie sah ihn nicht an, zeigte ihm das Profil und fädelte Perlen auf, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Er beobachtete eine Weile, wie sie konzentriert die Lippen spitzte, und er wußte, daß sie ihm etwas vorspielte. Sie lauschte. Sie wartete. Brannte innerlich. Das wußte er. »Hör mal«, sagte er und schaltete abrupt in einen anderen Gang. »Ich hab dir noch gar nicht erzählt, wie weh mir das damals im Supermarkt getan hat. Aber es hat weh getan. Ich hätte heulen können.« Die Stimme kam gepreßt aus der Tiefe seiner Kehle.
    Jetzt sah sie zu ihm auf, ihr Blick war sanft, vielleicht sogar ein wenig feucht, aber sie ging nicht darauf ein. Es war fast, als hätte sie ihm nicht zugehört – da schüttete er ihr sein Herz aus, und sie reagierte darauf mit einem wilden Schwall von zusammenhanglosem Geschwätz. Sie redete über den Krieg, über Protestmärsche, über Umweltskandale – irgendwo wurden Abwässer ungeklärt in den Fluß geleitet, war das nicht ein Skandal? Und zehn Meilen stromabwärts tranken Menschen genau dieses Wasser – einfach unglaublich, oder?
    Unglaublich. Ja. Er warf ihr einen leidenschaftlichen, verführerischen Blick zu – oder das, was er für einen leidenschaftlichen, verführerischen Blick hielt – und machte es sich bequem, um sie erzählen zu lassen. Sie waren beim dritten Glas Wein, als sie von der Arcadia anfing.
    Mit ihrer Litanei der Sünden der Industrie, ihrer Aufzählung bedrohter Sumpfbiotope und verschmutzter Buchten, ihren blauäugigen Versicherungen, Soundso habe in irgendeinem Buch festgestellt, daß die Messungen für irgendwas tausendmal höher ausfielen als die zulässigen Grenzwerte, hatte sie bis zu diesem Punkt nichts weiter erreicht, als ihn in einen Zustand stiller Zufriedenheit zu lullen. Er hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, betrachtete ihre Hände, ihr Haar, ihre Augen. Jetzt aber spitzte er mit einem Mal die Ohren.
    Die Arcadia. Das war ein Schiff, eine Schaluppe, die einem alten Vorbild nachgebaut war. Zwar hatte Walter sie noch nicht gesehen, aber gehört hatte er davon. Eine Menge. Dipe und seine Kumpel vom Kriegsveteranenverband kochten ihretwegen vor Wut – Das sind wieder dieselben Typen wie damals bei den Unruhen, Walter, hatte Depeyster ihm eines Abends gesagt, vor zwanzig Jahren haben wir denen auf der Viehweide da draußen eine Lektion erteilt, und jetzt könnte man meinen, sie hätten’s vergessen. Was Walter anging, so war ihm die Sache ziemlich schnuppe – wen kümmerte es schon, ob nun ein alter Kahn mehr oder weniger auf dem müden Fluß dahindümpelte? –, aber er wußte jedenfalls, worum es ging. Aufgebracht waren Dipe, LeClerc und die übrigen vor allem deshalb, weil Will Connell etwas damit zu tun hatte, soviel war ihm klar. Allein der Name war ein rotes Tuch, ein an die Wand gemalter Teufel, ein hingeworfener Fehdehandschuh – Paul Robeson war inzwischen tot, Connell dagegen noch gut in Form und dank der Verurteilung der Hexenjagden der McCarthy-Ära rehabilitiert, ein Überlebender und Held. Und jetzt schipperte der Kerl auf einem Schiff von der Größe eines Konzertsaals den Fluß auf und ab (Es ist nicht zu fassen, Walter , hatte Depeyster in heller Empörung gewettert, der baut diesen, diesen schwimmenden Zirkus doch nur zur Tarnung für seinen kommunistischen Dreck ... von wegen sauberes Wasser. Dem geht’s bloß darum, auf den Stufen des Capitols die Vietcong-Fahne zu schwenken...) und lachte den

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