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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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getroffen. Wie lange war das jetzt her – vier, fünf Jahre? Er hatte genug von der Hütte und der Einsamheit gehabt, war es leid gewesen, das Kreuz seines hoffnungslosen Volkes zu tragen, deshalb war er nordwärts gezogen, um ein paar Wochen lang Äpfel zu pflücken und Enten zu schießen – bis zum Thanksgiving Day vielleicht. Jedenfalls bis die Seen zufroren und die Enten davonzogen. Eines Tages Ende November, am Dienstag vor dem Truthahn-Donnerstag, saß er auf Ein-Vogels Veranda, vor sich einen Putzlappen, eine Dose Maschinenöl und Ein-Vogels betagte einschüssige Remington. Eigentlich putzte er das Gewehr nicht richtig – er wischte nur mit dem ölgetränkten Lappen über den Lauf, um eine Beschäftigung für seine Hände zu haben. Es war ein klarer, windiger Tag, in der Luft lag der Duft der Tundra.
    Der Kombiwagen – es war ein weißer, brandneuer Chevy mit diesen Pseudo-Holzleisten an den Seiten – kam für ihn überraschend. Er bog bei Dick Fourtriers Grundstück um die Ecke, rumpelte behäbig über die waschbrettartige Staubstraße mit den Schlaglöchern. Vor Ein-Vogels Haus wurde er langsamer, bis er schließlich ein Stück dahinter zum Stehen kam. Die Rückfahrscheinwerfer leuchteten auf, und der Wagen setzte schaukelnd zurück, bis er wieder auf seiner Höhe war. Durch das Fenster sah er kurz einen Kopf, sah die vom Wind abgerissene Fahne des Auspuffqualms. Der Vormittag hüllte sich in Schweigen. Die Fahrertür ging auf, und da stand sie, Joanna, die wohltätige Lady, kam in Lederhalbschuhen, Kaschmirpullover und Faltenrock um den Wagen herum, kam über die Steinplatten mit den struppigen gelben Grasbüscheln dazwischen herauf, kam auf das Haus, das dringend gestrichen werden mußte, kam auf ihn zu.
    »Hallo«, sagte sie auf halbem Weg, und ihr Lächeln erstrahlte zum Ruhm der regelmäßigen, halbjährlichen Vorsorgeuntersuchungen und der vielen Meilen ordentlich aufgerollter Zahnseide.
    Er war ein bärbeißiger Stoiker, ein Ex-Zuchthäusler, ein Überlebenskünstler, ein Mann, der sich von den Früchten der Erde ernährte, ein Kommunist. Seine eigenen Zähne waren verrottet wie die einer Hyäne, und er trug Arbeitshosen, ein Flanellhemd und ein Leibchen, das einmal himmelblau gewesen, jetzt aber mit Fett, Blut, Steak-Sauce und den Resten von Kaninchen, Fasan und Fisch befleckt war. Er beobachtete sie aus kalten grünen Augen und sagte kein Wort.
    Sie blieb vor der Veranda stehen, ihr Lächeln wirkte nur ein klein wenig gezwungen, faltete ihre schmalen Hände und begann, nervös an einem Ring zu drehen – einem Diamantring, der sie zum Eigentum eines anderen Mannes erklärte: »Hallo«, wiederholte sie ihren Gruß, als hätte er sie beim erstenmal nicht gehört, »können Sie mir wohl sagen, wie ich zum Versammlungshaus komme?«
    Zum Versammlungshaus? Zuerst wollte er sie verspotten, sie schockieren und verletzen, ihr sagen, sie könne ihn mal am Arsch lecken, da werde sie vielleicht finden, was sie suche, aber er tat es nicht. Etwas an ihrer Erscheinung – er wußte nicht genau, was es war – machte sie anders als die anderen, diese alten Puten mit dem silberblauen Haar und den schäbigen Pferdedecken, den Bibeln und dem blöden Wohltätergedusel, und jagte ihm Angst ein. Ein bißchen jedenfalls. Eigentlich war es nicht Angst – eher ein Schaudern, ein kleiner Schreck. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, wie sie mit den übrigen ein Plakat schwenkte (Befreit die armen, unwissenden Ureinwohner Amerikas aus der Unterdrückung!) oder sich eine bunt bedruckte Grillpartyschürze überzog, um bei einem dieser gräßlichen Wohltätigkeits-Frühstücke Pfannkuchen und Cocktailwürstchen zu servieren.
    Natürlich, sie sah gut aus – und jung war sie auch –, aber daran lag es nicht. Da gab es noch etwas anderes, so etwas wie das Gefühl, sie wäre wie ein Geschenk für ihn, wie ein Geburtstagskuchen mit brennenden Kerzen. Er wußte nicht, was es war. Noch nicht. Es genügte zu wissen, daß es da war.
    Da er ihr nicht antwortete, sondern sie nur mit seinen unverschämten Blicken abtastete, sich den Gewehrlauf zwischen die Beine klemmte und mit möglichst zweideutiger Geste daran auf und ab rieb, fuhr sie fort, jetzt etwas nervös und gehetzt: »Es ist das erste Mal. Daß ich hier bin, meine ich. Ich komme von weiter südlich, aus Westchester County, und Harriet Moore – das ist eine Freundin meiner Cousine in Skaneateles – na ja, also um es kurz zu machen –« hier deutete sie mit einem

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