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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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liebe dich«, verbesserte er.
    »Nein!« protestierte sie mit unerwarteter Vehemenz, wandte ihm ein Gesicht wie eine Maske zu, als gehörte es gar nicht ihr, als hätte sie es für eine Kostümparty aufgesetzt, für Halloween; dann packte sie seine Arme knapp über den Ellenbogen und versuchte, ihn wegzustoßen. »Nein!« wiederholte sie, und auf einmal sah er sie wie durch ein Zoom-Objektiv, die winzigen geplatzten Kapillaren in ihren Augen, die Tränentröpfchen an ihren fingerdicken Wimpern, die Flügel ihrer Stupsnase gebläht und riesengroß, rot wie die eines Tiers. »Es ist vorbei, Walter«, sagte sie. »Tom. Ich bin jetzt mit Tom zusammen.«
    Tom. Der Name drang aus dem Nirgendwo, von einem anderen Universum zu ihm, und er nahm ihn kaum wahr. Opfer. Träumer. Er schüttelte ihre Arme ab und riß an ihrem Pullover wie ein unbeholfener Zauberkünstler bei dem Versuch, das Tischtuch unter einem kompletten Porzellanservice wegzuziehen. Sie schrie auf. Schlug wild um sich. Fiel nach hinten gegen den Tisch. Perlen kollerten durcheinander, prasselten auf den Boden wie starker Regen, wie der Trommelwirbel der Umweltverschmutzer, die in den Krieg zogen. Er zerrte den Pullover hinauf, bauschte ihn unter ihrem Kinn zu einem dicken Wulst und zog sie vom Stuhl hoch, preßte ihren Unterleib mit seinem gegen die Tischkante. Er suchte ihren Mund, aber sie drehte den Kopf weg; er griff nach ihren Brüsten, aber sie hielt sich mit beiden Händen am Pullover fest. Schließlich machte er sich an ihre Jeans.
    Sie weinte die ganze Zeit über, doch sie klammerte sich an ihn. Und er drängte sich gegen sie und spürte ihre Zunge, und als sie sich anspannte, umschlang sie ihn, als wäre er ihr ein und alles. Als es vorbei war, zog er sich von ihr zurück; der Blick in ihren Augen machte ihm angst. Sie wirkte geprügelt, verletzt, wie ein Hund, den man gleichzeitig gefüttert und geschlagen hat. War das ein blauer Fleck unter ihrem linken Auge? War das Blut auf ihrer Lippe? Er wußte nicht, was er sagen sollte – die Worte waren ihm ausgegangen. Schweigend zog er sich den Reißverschluß hoch, knöpfte die Jacke zu; schweigend wich er vor ihr zurück und tastete nach der Tür.
    Langsam und behutsam, als habe er ein gereiztes Raubtier vor sich, das ihn anspringen würde, wenn er es auch nur eine Sekunde lang aus den Augen ließ, drehte er den Türknopf hinter sich. In diesem Moment ließ sie sich zu Boden fallen, leblos wie eine Puppe. Sie blieb reglos liegen, den Kopf in den Armen verborgen, die Jeans zu den Knöcheln hinuntergezogen. Diesmal konnte er das Schluchzen nicht hören, doch es ließ ihren gekrümmten weißen Körper erbeben, das sah er sehr wohl.
    Es war das letzte Bild, das er sich von ihr bewahrte.
    Der Abstieg über den Hügel war ein Kinderspiel. Er schien auf seinen Prothesen dahinzugleiten wie auf Schlittschuhen, und wenn er doch einmal das Gleichgewicht verlor, schoß jedesmal ein fester junger Baum aus dem Boden, an dem er sich festhalten konnte. Er quetschte seine Gedanken aus wie eine Eiterpustel und entledigte sich so ihres Bildes in seinem Kopf. Als er den Steg erreichte, war er im Geiste längst in Barrow, bei den unergründlichen Schatten, den harten Linien, der Geometrie aus Eis. Er traf seinen Vater, und sein Vater war gesund und kräftig, er war der Mann, der ihn zur Acquasinnick Bridge mitgenommen hatte, um in dem schlammigen Fluß Krebse zu fangen, der Mann, der Sasha Freeman und Morton Blum und all den anderen die Stirn geboten hatte. Walter , sagte sein Vater, ist ja eine Ewigkeit her , und streckte ihm die Arme entgegen.

VERKLEIDUNGEN
    Sie war eine gutaussehende Frau, eine Schönheit: makellose Zähne, voller, stolzer Busen, ein flacher Bauch, der nur ein einziges Mal rund geworden war, als er werdendes Leben in sich getragen hatte. Auch ihre Augen gefielen ihm, Augen wie Murmeln, um die er als Junge gespielt hatte, blasse Wölkchen von Violett in prismatischem Glas, und er mochte es, wie sie ihn ansah, wenn er ihr etwas erzählte. Er erzählte ihr von Manitous Großer Frau oder von Mishemokwa, dem Bärengeist, oder von seinem Vater und Horace Tantaquidgeon, und sie beugte sich vor, die Lippen geöffnet, die Stirn gefurcht, so gespannt, als lauschte sie einem Orakel oder dem Stammvater aller Stämme, Manitou selbst. Doch am allerbesten gefiel ihm an ihr, daß sie eine Weiße war, die Frau des Sohnes seines Erzfeindes – das war mehr als perfekt.
    Zum erstenmal hatte er sie oben in Jamestown

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