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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Gesicht seines Vetters lag im Schatten, und es war nichts darin zu erkennen. Er blickte auf das Mädchen und sah den stillen Triumph in ihren Augen. Und dann musterte er den Säugling, dessen Züge so sanft und unbeschwert wirkten wie die des Christkinds. »Herein mit euch«, flötete moeder , »ist doch wahrlich keine Nacht für Unterhaltungen auf der Veranda«, und jetzt erst nahm Wouter den Eisregen wahr, der ihm ins Gesicht prasselte, den naßkalten, unterirdischen Atem des Sturms und das unruhige Eigenleben der Nacht. Dann schob sich die Squaw an ihm vorbei, und der Säugling, dunkelbraun wie Kirschholz und kaum halb so groß wie ein junges Ferkel, öffnete die Augen. Seine Augen waren grün.
    Im nächsten Moment saß Jeremy in der Kaminecke und schaufelte mechanisch Haferbrei in die dunkle Öffnung seines Mundes, während das Mädchen neben ihm auf dem Boden kauerte, das Baby an der Brust. Wo war er nur gewesen? fragten die Kinder. Warum hatte er so komische Sachen an? War er jetzt ein Indianer? Moeder sprach mit sanfter Stimme. Sie hoffte, er sei heimgekommen, um hierzubleiben, und seine Frau auch – war sie seine Frau? Jedenfalls sei sie willkommen, mehr als willkommen, und wie hieß sie denn eigentlich? Vader stellte die Frage, die auf der Hand lag: War das sein Kind? Wouter sagte nichts. Ihm kam es vor, als verlöre er den Boden unter den Füßen, er war eifersüchtig und fühlte sich verraten. Er blickte von Jeremy zu dem Mädchen und versuchte sich vorzustellen, was zwischen ihnen war, was das alles bedeutete und warum sein Vetter ihm nicht in die Augen sah.
    Jeremy seinerseits begriff ihre Fragen nicht einmal ansatzweise, obwohl er für diese Menschen viel empfand und in seinem Herzen froh war, wieder bei ihnen zu sein. Ihre Stimmen waren für ihn Laute wie das Grollen des Bären auf Nahrungssuche, wie die Selbstgespräche der Eichelhäher und das Plätschern des Baches draußen vor der Tür, wie ein Ebben und Fluten emotionaler Gezeiten, wie ein Gesang ohne Text. Holländische und englische Worte, Namen und Begriffe in den Dialekten der Weckquaesgeeks und der Kitchawanken, die er gelernt hatte – für ihn war alles ein entsetzliches Chaos. Er kannte die Dinge jetzt so, wie Adam sie am ersten Tag gekannt haben mußte, als Erscheinungen, als Wahrheiten und Tatsachen, die man ertasten, sehen, riechen, schmecken und hören konnte. Wörter besaßen für ihn keine Bedeutung.
    Seine Frau hatte keinen Namen – jedenfalls wußte er ihn nicht. Und ebensowenig sein Sohn. Er warf einen scheuen Blick auf Wouter, und er erkannte ihn wieder, er kannte auch Jeremias, Neeltje, Geesje und die anderen Kinder. Aber sich ihre Namen ins Gedächtnis zu rufen, war ihm unmöglich. Auf unmittelbare, konkrete Weise, vermittelt durch im Darm rumorende Enzyme oder das in seinen Adern pulsierende Blut, wußte er, daß Jeremias seinen Vater getötet hatte, daß der Quallenfresser ihn einst in diesen höllischen Apparat hatte sperren wollen, daß der Stamm der Wölfe seinen Raubzug über das Antlitz der Erde unaufhaltsam fortsetzte. Er wußte auch, daß Jeremias ihn wie seinen eigenen Sohn aufgezogen hatte, daß Wouter sein Bruder war und daß er hier ebenso zu Hause war wie bei den Weckquaesgeeks. Er wußte, daß er dankbar war für das Essen und die Wärme des Feuers. Aber er konnte es ihnen nicht mitteilen. Nicht einmal mit den Augen.
    Am nächsten Morgen ging Jeremy dorthin, wo die letzten verdorrten Grasbüschel der entlegensten, steinigsten Weide wuchsen, und baute einen Wigwam. Bis zum Spätnachmittag hatte er den Boden mit Matten aus Gerten bedeckt, darüber breitete er sorgfältig eine Schicht von muffigen Fellen aus. Dann entfachte er ein Feuer und zog mit dem Mädchen und dem Baby ein. Im Laufe der nächsten Jahre, in denen er seine alten Gewohnheiten mit Wouter wieder aufnahm, dem patroon trotzte, indem er auf seinem Grund lebte, ohne jemals ein Stück Land zu bebauen, und zusehen mußte, wie die Pestilenz zwei seiner Töchter dahinraffte und seinen Sohn entstellte, beschäftigte er sich mit dem Um- und Ausbau der primitiven Behausung aus Baumrinde, die er an jenem ersten Morgen errichtet hatte, und er blieb dort wohnen. Für immer. Jedenfalls bis zu dem Tag, an dem sie ihn holen kamen.
    Für Wouter war die Rückkehr seines Vetters ein vernichtender Schlag. Es war der nächste Dolchstoß, der ihn traf, ein weiterer Keil, der zwischen ihn und die Erlösung getrieben wurde, die er so ersehnte. Zuerst hatte sich

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