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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Sommers.
    Erstaunt wandte sich Wouter zu Cadwallader und sah in dessen Augen etwas, das er nie zuvor bemerkt hatte. Das gewohnte stumpfe Starren war einem Blick gewichen, der wach, weise, selbstsicher und stolz zugleich war, es war der Blick des Patriarchen auf seine Nachkommenschaft, des Künstlers auf seine Gemälde, des Jägers auf seine Beute. Und dann, Wunder über Wunder, begann Cadwallader, der Schandfleck der Cranes, der hoffnungslose Schüler, der pfirsichgesichtige Jüngling, der über die eigenen Füße stolperte, über die Lebensgewohnheiten der Nachtfalter und Schmetterlinge zu referieren, verbreitete sich nahezu angeregt über Maden und Raupen und über die Metamorphose eines Wesens in ein anderes. »Dieser hier, siehst du den?« fragte er und zeigte auf einen Schmetterling von der Farbe einer tropischen Frucht, mit regelmäßigen weißen Punkten auf einem sepiabraunen Streifen. Wouter nickte. »Im letzten Sommer war das ein Wurm auf einer Gänsedistel, mit Stacheln und hundert häßlichen Füßchen. Ich hab ihn in einem Steinkrug aufgehoben, bis er sich verwandelt hat.« Wouter fühlte das Wunder in sich aufgehen wie eine Blume, und er blieb in dem kargen Schuppen, bis er seine Füße nicht mehr spürte und das Licht schwand.
    In den nächsten Wochen eröffnete der linkische Enthusiast – mal über einen jähen Abgrund setzend, um ein Büschel Moos zwischen zwei eisüberkrusteten Felsen auszurupfen, mal einen verrotteten Baumstamm emporhangelnd, um ein zwei Jahre altes Spechtnest zu bergen – Wouter eine Sicht auf die Welt, die dieser nie für möglich gehalten hätte. O ja, Wouter kannte sich gut im Wald aus, aber er kannte den Wald so, wie die Weißen ihn kennen, als einen Ort, wo man Beeren pflückt, Wachteln jagt, mit der Steinschleuder Eichhörnchen vom Baum holt. Doch Cadwallader kannte ihn als Naturkundler, als Genius, als guter Geist, als Erforscher von Mysterien. Und Wouter folgte ihm in die kahlen, öden Wälder, um auf eine freiliegende Erdspalte inmitten einer Schneewehe zu starren, hinter der, wie Cadwallader ihm versicherte, ein Schwarzbär seinen Winterschlaf hielt, oder um mitzuerleben, wie sein Freund in einer Handvoll Wolfslosung stocherte und daraus Spekulationen über die letzte Mahlzeit des Raubtiers anstellte (überwiegend Kaninchen, wenn man sich die schmalen, vertrockneten Würste ansah, die cremefarbene Haare enthielten und mit winzigen Knochenfragmenten gesprenkelt waren).
    »Siehst du das da?« fragte ihn Cadwallader eines Tages und zeigte auf ein erfrorenes Stachelschwein, das in einer Astgabel eingeklemmt war. »Wenn die Sonne im Frühling wieder wärmt, dann wird dieses Fleisch da neues Leben hervorbringen.« – »Leben?« wunderte sich Walter. Dann legte sich auf die dünnen Lippen und die unbehaarten Wangen des jungen Crane ein überlegenes Lächeln. »Ja, Schmeißfliegen«, sagte er.
    Obwohl der Altersunterschied zwischen ihnen acht Jahre betrug, war die Freundschaft nicht so einseitig, wie man hätte annehmen können. Cadwallader, die ewige Zielscheibe für Spott und üble Scherze, war froh, jemanden gefunden zu haben, der ihn ernst nahm, besonders da dieser Jemand seine geheime Leidenschaft für die Hintergründe der Natur teilte, für Würmer, Raupen, Schnecken und die kleinen Exkrementbohnen, die er so geduldig untersuchte. Wouter paßte ausgezeichnet zu ihm. Da er selbst nicht eben ein Beispiel für Reife abgab – jeder andere Zwanzigjährige hatte längst einen eigenen Hof und eine Familie –, empfand er den jungen Van Brunt in vielerlei Hinsicht als ebenbürtig. Der Junge war wirklich der geborene Anführer, er war überzeugungskräftig, flink und neugierig, aber nicht so ebenbürtig, um ihm den Rang streitig zu machen. Was Wouter anging, so bestand der Reiz am Sohn des Schulmeisters für ihn vor allem darin, daß er ihn von der Leere ablenkte, die er verspürte, und dessen war er sich wohl bewußt. So faszinierend Cadwallader auf seine eigene schräge Art auch sein mochte, gab er doch nur einen schwachen Ersatz für Jeremy ab – und für den entgleisten Vater, der auf dem Hof schuftete wie ein unseliger Flaschengeist, dreißig Jahre alt und schon ein Greis. So kamen die beiden, wie es bei allen Freundschaften der Fall ist, aus einem gegenseitigen Bedürfnis heraus zusammen und weil der eine dem anderen irgendwie eine Stütze war. Cadwallader erwählte Wouter, und Wouter erwählte Cadwallader. Und es dauerte nicht lange, da war der ungelehrige Lehrerssohn

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