Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Höfen und vergessenen Dörfern: Frauen, die vorgaben, sie könnten sich in wilde Tiere verwandeln, und die auch entsprechende Mähnen und Klauen hatten; Männer, die damit prahlten, sie hätten ihr ganzes Leben lang Hundefleisch gefressen und als Gesetzlose gelebt; ein Junge aus Neversink, dem die Mohawks die Zunge abgeschnitten hatten und der über dem Leichnam ein Gebet sprach – es bestand aus drei Silben, »ab-ab-ab«, die er endlos wiederholte. Am Abend des dritten Tages machte Jeremias dem Zirkus ein Ende und bettete den Riesen zur letzten Ruhe. Unter der Weißeiche. So als wäre er ein Familienmitglied gewesen.
    Tja, das rüttelte die Klatschbasen natürlich wach, keine Frage. Hab ich’s nicht gesagt, hab ich’s nicht hundertmal gesagt, daß es den wahnsinnigen Mörderschweden gibt? Hab ich dir denn nicht erzählt, wie er damals unten am Bach Maria Ten Haer fast zu Tode erschreckt hat? Und da möchte man es doch kaum für möglich halten, daß der ruchlose Dummkopf diesen Teufel in derselben Erde begräbt, in der seine Schwester und sein Vater liegen.
    Schlimmer, viel schlimmer als das aber war das Nachspiel. Denn mit Wolf Nysen – dem Buhmann, dem Abtrünnigen, dem Sündenbock, jenem Monster, das alle Sünden der Gemeinde auf sich genommen und sie in seiner Einsiedelei wie ein härenes Hemd getragen hatte – starb auch der Friede selbst. In den folgenden Monaten prasselte das aufgestaute Elend eines ganzen Jahrzehnts auf die Häupter der bescheidenen Farmer in Van Wartwyck nieder und das Grab öffnete seinen Schlund wie ein eben erwachtes Raubtier am Ende einer langen Fastenzeit.
    So gesehen war es vielleicht nur angemessen, daß Jeremias als erster dahinging. Was ihm widerfuhr, so sagten viele, war Gottes Vergeltung für seine unselige Allianz mit dem geächteten Nysen und für seine früheren Freveltaten gegen den patroon und die rechtmäßigen Behörden, ja wenn man es recht betrachtete, gegen den König selbst. Was ihm widerfuhr, war nur die gerechte Strafe.
    Zwei Wochen nachdem er Nysen bestattet hatte, war auch Jeremias tot, vom gleichen Übel dahingerafft wie einst sein Vater. Kaum hatte seine Schaufel das Grab des Schweden glattgeklopft, waren die Trauergäste und die Neugierigen ihrer Wege gegangen, verspürte Jeremias den ersten widernatürlichen Hunger in sich nagen. Es war ein Hunger, wie er ihn noch nie gehabt hatte, ein Hunger, der ihn von innen überfiel und niederwarf, ihn zu seiner Kreatur, seinem Sklaven, seinem Opfer machte. Er hatte nicht einfach Hunger – er war heißhungrig, knurrend und unersättlich, so ausgedörrt wie ein Brunnen, der durch den ganzen Erdball hindurch bis nach China reichte und keinen Tropfen Wasser gab. Nach Nysens Begräbnis kam er zurück, und er, der so lange in seinem eigenen Haus so gut wie unsichtbar gewesen war, drängte sich jetzt zwischen seine großen Söhne an den Tisch und verschlang den Eintopf, den Neeltje für den Leichenschmaus gekocht hatte, als hätte er eine Woche nichts gegessen. Als der Topf leer war, kratzte er ihn aus.
    Am nächsten Morgen, bevor die Familie noch wach war, schaffte er es, alle sechs Brote zu vertilgen, die seine brave Frau für diese Woche gebacken hatte, außerdem einen Topf mit Käse, sechsunddreißig geräucherte Forellen, die die Jungen an drei langen Tagen gefischt hatten, ein halbes Dutzend Eier – roh und mitsamt den Schalen – und eine gewaltige Schüssel süßes Wildhaschee mit Pflaumen, Weintrauben und Zuckerdicksaft. Als Neeltje beim ersten Morgengrauen erwachte, fand sie ihn bewußtlos in der Speisekammer; sein Gesicht verschmiert mit einer öligen Masse aus Ei, Fett und Melasse, mit der Hand hielt er eine angebissene Rübe wie eine Waffe gepackt. Sie wußte nicht, was da nicht stimmte, aber sie wußte, daß es etwas Schlimmes war.
    Staats van der Meulen wußte es und Meintje auch. Obwohl Wouter spottete und Neeltje protestierte, veranlaßte sie Staats, Jeremias an Händen und Füßen im Bett festzubinden. Als Staats eintraf, war jedoch der Schaden leider schon geschehen. Die Wintervorräte der Familie waren halb aufgebraucht, drei der Tiere – sogar ein Ochse und ein Kalb – waren tot, und Jeremias war aufgedunsen wie eine Kuh, die in ein Feld mit Ackersenf geraten ist. »Suppe!« schrie er von seinem Lager aus. »Fleisch! Brot! Fisch!« In den ersten paar Tagen war seine Stimme ein Brüllen, so wild wie das eines Raubtiers, dann ermattete es zu einem Krächzen und schließlich, kurz vor dem Ende, zu

Weitere Kostenlose Bücher