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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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die alle umliegenden kleineren Bäume überragte. Da störte er die beiden Unglücksraben wiederum auf, diesmal vom Erdboden – oder vielmehr von einer unkrautbewachsenen Erhebung, auf der sich Schlingpflanzen rankten und ein blutroter Sumachbusch wie ein seltsames, brennendes Geisterschiff in der pfützenübersäten Weite des Morasts zu treiben schien.
    Jeremias wurde neugierig. Er zog den Stiefel aus dem Schlamm, strich sich die Hutkrempe gerade und stapfte hinüber, um das Ganze näher zu untersuchen; vor zwei Tagen hatte er einen Rehbock angeschossen, und er hoffte, das Tier vielleicht hier in dem Versteck zu finden, das es sich zum Sterben gesucht hatte. Oder vielleicht die Überreste des Schweins, das auf so rätselhafte Weise verschwunden war, kurz nachdem die Blätter sich verfärbt hatten. Die Raben hatten dort etwas, soviel stand fest, und er wollte herausfinden, was es war.
    Er teilte die Ranken, hieb mit dem Musketenkolben auf den Sumach ein, mußte zweimal innehalten, um seinen Beutel aus dem Gestrüpp zu befreien, das sich wie Finger darin festkrallte. Und dann bemerkte er in dem Busch vor sich etwas: das Blitzen von Metall im fahlen, kalten Licht der Sonne. Verwirrt bückte er sich danach, fuhr aber gleich wieder zurück. Der Gestank schlug ihm plötzlich und gnadenlos entgegen – und er hätte ihn als Warnung nehmen sollen. Aber zu spät. Er bückte sich nach dem schimmernden Blatt einer Axt, das an einem roh behauenen Eichenholzgriff befestigt war. Und diesen Griff umklammerte, mit all der Toten Starre, eine Hand, eine Menschenhand, eine Hand, zu der ein Arm, ein Ellenbogen, eine Schulter gehörten. Dort vor ihm, in dem feuerroten Gebüsch ausgestreckt wie ein von den Wolken herabgestürzter Riese aus dem Märchen, lag der Mann, dem Blood Creek seinen Namen verdankte. Die tief eingesunkenen Augen waren verwüstet, wo die Vögel hineingehackt hatten, der Bart war ein Nest für Feldmäuse, das Haar besaß den eisgrauen Farbton des Alters. Er hatte schon einmal in dieses Gesicht geblickt, vor so langer Zeit, daß er sich kaum erinnerte, aber der Schrecken, die Demütigung und der Spott, all das war ihm noch so deutlich gegenwärtig, als wären sie in seine Seele gekerbt worden.
    Alle fünf Mann – Jeremias, seine drei Söhne und sein Neffe Jeremy – waren nötig, um den massigen Leichnam, der selbst im Tode noch übernatürlich schwer war, aus dem Morast zu ziehen und zur Straße hinaufzuschleifen, wo sie ihn mit vereinten Kräften auf den Wagen hievten. Jeremias bahrte ihn selbst auf, wobei ihm der Kälteeinbruch gelegen kam, der den Gestank barmherzigerweise gering hielt. Wäre ihm eingefallen, zur Totenwache Eintritt zu verlangen, so hätte er ein reicher Mann werden können. Denn die Nachricht von Wolf Nysens Tod – dem Tod, der sein Leben bestätigte – breitete sich in der Gemeinde aus wie eine Grippewelle. Noch in derselben Stunde, da Jeremias den gestürzten Riesen auf die Bahre gelegt hatte, versammelten sich die Neugierigen, die Ungläubigen und alle, die es schon immer gewußt hatten, um in ehrfürchtiger Stille die fleischgewordene Legende, das bekräftigte Gerücht zu bestaunen. Sie starrten ihn an, maßen ihn vom Scheitel bis zur Sohle ab, zählten die Haare seines Bartes, untersuchten sein Gebiß, berührten ihn mit zitternd ausgestrecktem Finger, nur einmal, so wie sie den einsamen, vom Kreuz genommenen Christus berührt hätten, oder den Wilden Burschen von Saardam, der die eigene Mutter gekocht und verzehrt und dann sich selbst am Giebel des Hauses der Tuchmachergilde erhängt hatte.
    Sie kamen von Crom’s Pond, aus Croton, aus Tarry Town und Rondout, von der Insel Manhattoes und den fernen Puritanerhochburgen Connecticut und Rhode Island. Ter Dingas Bosyn stattete einen Besuch ab, wie auch Adriaen Van Wart und ein verhutzelter alter Böttcher aus Pavonia, der behauptete, Nysen in seiner Jugendzeit gekannt zu haben. Am zweiten Tag kam Stephanus von Croton heraufgeritten, mit van den Post, dem Zwerg und einer Delegation düsterer, schwarzgekleideter Berater von Colonel Benjamin Fletcher, dem neuen Gouverneur der Kolonie und Seiner Majestät Wilhelms III. vornehmsten Repräsentanten auf dem ganzen Kontinent. Am dritten Tag strömten die Indianer herbei – verstümmelte Weckquaesgeeks, bunt bemalte Nochpeems, sogar ein Huron, um den alle übrigen einen großen Bogen machten wie um den Teufel höchstpersönlich –, und danach kamen die Sonderlinge und Spinner von den entlegenen

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