World's End
betrunken. Piet war damals bei ihm, und das half ein wenig. Piet hatte immer einen Witz parat, legte ihm den Arm um die Schultern. Ein komischer kleiner Kerl. »Was soll ich bloß machen, Piet?« fragte ihn Truman. »Tu’s«, riet Piet. »Würg’s ihnen rein. Juden, Rote, Nigger – die Welt ist am Verfaulen wie ein wurmstichiger Apfel.« Diesmal war auch Geld drin. Geld zum Verschwinden, zum Umziehen, für einen neuen Anfang. Irgendwo. Ganz egal, wo. Zur Not auch in Barrow. Den Wagen hätte er eigentlich nicht nehmen sollen – nicht für immer jedenfalls. Aber als alles vorbei gewesen war, hatte er Depeyster mehr gehaßt als Sasha Freeman und die Kommunistische Weltverschwörung. Weil er ihn dazu gebracht hatte, sich selbst zu hassen. Deshalb hatte er den Buick behalten. Und zuschanden gefahren. Sieben, acht Jahre lang, nach Barrow rauf und wieder zurück. Bis der Wagen hinübergewesen war. Bis es keinen Grund mehr zum Zurückfahren gegeben hatte.
Das beste war, daß alles nichts genützt hatte.
Sasha Freeman, Morton Blum und wer immer ihre Hintermänner gewesen sein mochten, waren Depeyster immer einen Schritt voraus gewesen. »Wenn’s um Opportunismus geht«, knurrte Truman, »wenn’s um Zynismus geht, da hatten Freeman und Blum, diese beiden Dreckskerle, ganz klar die Oberhand.«
Truman hätte irgendwann die Jungs hereinlassen sollen, damit sie die Veranstaltung auflösten, Robeson und Connell und all den übrigen Niggerfreunden eins über die Rübe ziehen könnten, ihnen eine Lektion erteilen, die sie nie wieder vergessen würden: Wach auf, Amerika! Peterskill ist schon wach! So hatte Depeyster es sich gedacht. Das war der Plan gewesen. Truman würde der guten Sache dienen und dafür tausend Dollar bekommen, um sich aus seinem Leben abzuseilen und woanders von vorn anzufangen. Aber natürlich war alles ins Auge gegangen. Wenn Sasha Freeman dagewesen wäre, hätte er selbst die Raubtiere hereingelassen. Mit Vergnügen. Dessen Idee war es ja gewesen, die Sache ordentlich anzuheizen, es hätte ruhig ein kleines Blutbad an Unschuldigen geben dürfen, als Draufgabe ein paar Knochenbrüche und eingeschlagene Nasen, und für die Zeitungen ein Haufen Fotos von Frauen in blutverschmierten Kleidern. Na, und wenn irgendein armer Bimbo dabei gelyncht worden wäre, um so besser. Ein friedliches Liederfest? Wozu, zum Teufel, wäre das gut gewesen?
»So, Walter«, sagte der Alte und beugte sich zu ihm vor, »und jetzt sag du mir, wer die Bösen waren.«
Walter wußte keine Antwort. Er wich dem Blick seines Vaters aus, dann sah er ihn wieder an.
Truman fingerte an seinem rechten Ohr herum. Das Ohrläppchen war entstellt, eingeschrumpelt wie die Haut einer getrockneten Aprikose. Walter kannte dieses Ohr gut. Das war Schrapnell, hatte der Alte erklärt, als er mit dem acht, neun oder zehn Jahre alten Walter zum Krebsefangen an die Brücke gegangen war. »Von damals hab ich auch das da«, sagte Truman plötzlich, kein Akt der Reue, wenn nicht uneingeschränkt, aufrichtig und vollständig.
»Du hast mir immer erzählt, das wäre im Krieg passiert.«
Truman schüttelte den Kopf. »In der Nacht damals. Das ist mein Judasmal. Ganz merkwürdige Sache war das übrigens.« Er kniff im Rauch seiner fünfzigsten Camel die Augen zusammen, auf seinem Gesicht lag ein seltsames Staunen. Oder Verwirrung. »Es war alles vorbei, und wir, also Piet und ich, hatten das ganze Durcheinander schon hinter uns und gingen auf einem Seitenweg zu unserem geparkten Wagen, da kommt plötzlich so ein Irrer aus dem Gebüsch gestürzt und reißt mich von hinten zu Boden. Ich war ziemlich kräftig damals, ziemlich stark. Aber dieser Typ war stärker. Der hat kein Wort gesagt, fing bloß einfach an, auf mich einzuprügeln – der wollte mich umbringen. Und ich meine echt umbringen. Merkwürdige Sache ...«
»Ja?« half Walter nach.
»Das war ein Indianer. Wie einer von denen im Fernsehen – oder unten in New Mexico.« Pause. »Wie die Eskimos hier draußen. Hat gestunken wie ein Rieselfeld, mit Fett eingeschmiert, Federn im Haar, der ganze Schnickschnack eben. Der hätte mich glatt umgebracht, Walter – und vielleicht hätte er’s ja auch tun sollen –, wenn nicht Piet gewesen wäre. Piet hat ihn mir vom Hals geschafft. Hat ihm sein Taschenmesser reingerammt. Dann sind ein paar Kerle gekommen und auf ihn los, so fünf oder sechs waren das, weiß nicht mehr genau. Aber dieser Typ wollte mich – nur mich –, warum, werd ich wohl nie erfahren.
Weitere Kostenlose Bücher