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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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geschrieben«, dabei beugte er sich vor und tippte mit einem dicken Finger stolz auf das Manuskript, »und du kannst es ruhig zu Hause in Peterskill lesen, wenn es gedruckt ist. Aber einstweilen, weil du es wissen willst – weil du es ja ganz genau wissen willst –, werde ich dir den Inhalt erzählen. Den ganzen. Keine halben Sachen.« Auf seinem Gesicht lag ein Lächeln, aber es war kein freundliches Lächeln – eher das höhnische Grinsen des Folterknechts, der gerade das Brandeisen ansetzt. »Und ich werde dir auch erzählen, was es für uns beide bedeutet, Walter, für dich und für mich.«
    »Hey«, sagte er und streckte die Hand aus, um Walter am Arm zu berühren, ein herzlicher Druck, der erste Körperkontakt zwischen ihnen, »wir sind doch Vater und Sohn, nicht wahr?«
    Der Alte war näher herangerutscht. Seine Stimme erfüllte das Zimmer, und das Zimmer erfüllte das Universum. Von den Hunden draußen drang kein Ton mehr herein – nicht einmal ein Winsein. Die Schneemobile waren verstummt. Sogar dem Wind schien die Puste ausgegangen zu sein. Unsicher und insgeheim wünschend, er hätte abgewinkt, saß Walter stocksteif im Sessel und ertrug die schnarrende, harte Stimme seines Vaters wie eine Dosis bitterer Medizin.
    Es war im Herbst 1693. Lange bevor es historische Gedenktafeln, Norton-Commando-Maschinen, Nehru-Hemden und Supermärkte gab, in einer so fernen Zeit, daß nur der lange Arm der Geschichte sie erreichte. Wouter Van Brunt, der Ahnherr von Legionen zukünftiger Van Brunts, spannte gerade sein Fuhrwerk an, um zum oberen Gutshaus zu fahren, wo er die Pacht begleichen und bei Tanz und gutem Essen das Leben genießen wollte. Er war fünfundzwanzig, und auf den Tag genau vor einem Jahr hatte er seinen Vater begraben. Auf dem Karren lagen zwei Klafter gehacktes Brennholz, zwei Scheffel Weizen, vier fette Hühner und zwanzig Pfund Butter in Tontöpfen. Die fünfhundert Gulden – vielmehr ihren Gegenwert in Pfund Sterling – hatte er bereits in Form von Weizen, Roggen, Gerste und Erbsen, die weiter flußabwärts verkauft wurden, bei Van Warts Mühle bezahlt. Neben Wouter auf dem Kutschbock saß seine Mutter. Bruder Staats, der mit ihm den Acker bestellte, mußte laufen, wie auch seine Schwestern Agatha und Gertruyd, die inzwischen achtzehn und sechzehn waren und so hübsch und heiratsfähig wie kein anderes Mädchen in der ganzen Grafschaft. Bruder Harmanus wohnte nicht mehr zu Hause, denn er war eines Tages vor dem Morgengrauen ausgezogen, um in der großen, aufblühenden Metropole New York sein Glück zu versuchen, in einer Stadt von gut 10000 Einwohnern. Schwester Geesje war gestorben.
    Cadwallader Crane wollte ebenfalls an dem Fest teilnehmen, obwohl er den Pachtzins nicht begleichen konnte. Seit Geesjes Tod war er vom Pech verfolgt, und er hatte einfach nichts zum Abliefern. Die Butter, die er mühsam gestampft hatte, war ranzig geworden (zudem waren es ohnehin keine zwanzig, sondern eher fünf Pfund gewesen), mysteriöse Wesen der Wildnis hatten sein Hühnerhaus heimgesucht und das Geflügel verschleppt, und der Acker, auf dem er trübsinnig gepflügt und kummervoll ausgesät hatte, erbrachte nicht einmal so viel, daß es den Weg zur Mühle lohnte. Geld hatte er schon gar nicht. Aber Brennholz! Brennholz hatte er wie ein Wilder gehackt und geliefert. Sechs, acht, zehn Klafter, er hatte dem jungen Lord den Schuppen bis dicht unter die schrägen Dachsparren angefüllt und dann daneben einen Stapel Holz aufgetürmt, der allein alle Herde in Van Wartville am Brennen gehalten hätte, den ganzen Winter hindurch und bis in den heißen Juli hinein.
    Während er auf seinen dünnen Storchenbeinen von seinem Hof zum Gutshaus trottete, hoffte er, das Übermaß an Brennholz werde den Mangel an Münzen und Naturalien wettmachen. Sein Herz war schwer wie ein Stein, er ging in Schwarz, wie es einem trauernden Witwer anstand, und er war fest entschlossen, sich nicht zu vergnügen. Die Petticoats von Salvation Oothouse (geborene Brown), die unter ihrem Rock hervorlugten, würde er keines begehrlichen Blickes würdigen, noch würde er das attraktive Antlitz und die Figur von Saskia Van Wart bewundern, falls sie da war. Nein, er würde nur mit langem Gesicht an den Tisch mit den Erfrischungen gehen – immer ein wachsames Auge auf den alten Ter Dingas Bosyn und dessen verfluchtes Hauptbuch gerichtet –, um Van Warts Wein zu saufen und sich mit Van Warts Essen vollzuschlagen, bis er aufgebläht war wie eine

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