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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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lesen.
    Im Gegensatz zu Truman.
    Momentan stand Truman in der Kochnische, mit dem Rücken zu Walter, und bestrich Weißbrotscheiben mit Butter und Senf. Er arbeitete unbeschwert, als wollte er seinem entfremdeten Sohn bedeuten, das Werk seines wahnwitzigen, vergeudeten Lebens sei nichts Besonderes, doch an der Art, wie er allzu flott die Brote schmierte und sich ungeschickt einen großen Gin mit Limonade mixte, merkte Walter, daß es in ihm brodelte. Auf einmal drehte der Alte den Kopf und sah ihn an. »Hunger?« fragte er.
    »Nein«, erwiderte Walter, denn sein Magen schnürte sich in Vorahnung einer gräßlichen, verheerenden Enthüllung zusammen, sein Vater das zum Leben erwachte Phantom, das Buch der Toten aufgeschlagen in seinem Schoß. »Nein, eher nicht.«
    »Bestimmt nicht? Ich mach ein paar Sandwiches mit Dosenfleisch und Zwiebeln.« Er hielt eine Zwiebel in die Höhe, als wäre es eine Dose mit Kaviar oder eingelegten Trüffeln. »Du wirst eine ordentliche Unterlage im Magen brauchen.«
    War das eine Drohung? Eine Warnung?
    »Nein«, sagte Walter, »danke nein.« Er blätterte um und begann zu lesen:
    Feudalismus in den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Land der freien und tapferen Bürger? Die Herrschaft von wenigen über viele – von Lords und Ladies, die das gemeine Volk knechten? Die amerikanische Unschuld im Würgegriff der englischen (und davor der holländischen) Korruption? Unvorstellbar? Erinnern wir uns nur an die Zeit vor der Revolution (gemeint ist die bürgerliche Revolution von 1777), als patroons und Gutsherren das häßliche Haupt über Negersklaven, Leibeigene und Pachtbauern erhoben, die nicht einmal die Gewißheit hatten, ob ihre Kinder die Früchte ihres Lebenswerks genießen könnten ...
    Das war die Einleitung – fünfunddreißig, vierzig, fünfzig Seiten lang. Van Wartville 1693. Ein Aufstand. Eine Revolte gegen Stephanus Rombout Van Wart, den ersten Lord des Freiguts. Walter versuchte, die Seiten zu überfliegen, sich rasch hindurchzuarbeiten, suchte nach dem Kern, der Essenz, dem Schlüssel, doch es gab zuviel zu lesen, der ganze irrwitzige Wälzer war nichts als eine endlose Tirade. Er blätterte zur letzten Seite der Einleitung:
    ... kündigte sich bereits ein gar nicht so lang vergangener Tag an, an dem ein wildgewordener Pöbel auf ebendiesem geweihten Boden Amok lief und jene, die unsere gepriesene Demokratie unterminieren, beinahe die Oberhand behielten. Wir beziehen uns hier natürlich auf die Unruhen von Peterskill (dem ursprünglichen Van Wartville) im Jahr 1949, dessen fatale Verbindung zu jener ersten, zum Scheitern verurteilten Revolte in den abschließenden Kapiteln des vorliegenden Werks zu erörtern und zu bewerten sein wird ...
    Das war es also? Der Alte manipulierte die Geschichte, um sich zu rechtfertigen? Er sprang ans Seitenende:
    Der Zweck der vorliegenden Betrachtung ist die Analyse einer Wahrheit, die im Blut liegt, einer Schande, die sich über Generationen fortpflanzt, einer Schmach und Niedertracht, die im Geiste überdauert, mag auch kein Autor bisher gewagt haben, darüber zu schreiben. Diese historische Analyse ist die erste Arbeit, die –
    »Macht einen neugierig, was?« Der Alte stand über ihm, in der einen Hand seinen Drink, in der anderen ein angebissenes Sandwich.
    Walter sah unruhig auf. »Jeremy Mohonk. Cadwallader Crane. Was war mit denen?«
    »Steht alles da drin«, sagte Truman und deutete mit dem Sandwich auf den Papierstapel. »Sie wurden gehängt. Aber das weißt du ja längst. Dich interessiert das Wie. Und das Warum.« Er hielt inne, um sich dem Sandwich zu widmen, und dann, während er sich wieder auf den Stuhl niedersinken ließ, sagte er mit einer Art Seufzer: »Die erste öffentliche Hinrichtung in den Annalen von Van Wartville.«
    »Du erwartest also, daß ich das hier lese – das Ganze?« Allein das Gewicht des Stapels ließ ihn fast durch den Fußboden brechen. Er konnte keine zehn Seiten davon lesen, und wenn sie ihm ewiges Leben versprochen, die geheimen Namen Gottes enthüllt und seine Füße zurückgegeben hätten. Mit einem Schlag fühlte er sich müde, unendlich müde. Der Himmel war schwarz. Wie lange war er schon hier? Wie spät war es überhaupt?
    »Nein«, sagte Truman nach einer Weile, »ich erwarte nicht, daß du es liest. Jedenfalls nicht jetzt.« Er leckte sich einen Senfklecks aus dem Mundwinkel. »Aber du wolltest Fragen beantwortet haben, also antworte ich. Zwanzig Jahre lang habe ich an diesem Buch

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