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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Es würde über drei Runden gehen, das war ihm jetzt klar. Danach konnte er das Flugzeug zurück nach Van Wartville nehmen, von seinen Geistern für immer befreit – Vater? Was für ein Vater? Er hatte nie einen Vater gehabt –: lädiert, aber frei. Natürlich gab es auch noch eine zweite Möglichkeit. Daß der Alte triumphieren würde. Ihn zu Boden schicken. K. o. schlagen. Dann würde er mit eingezogenem Schwanz in das Flugzeug steigen und zurückfliegen in ein Leben, das durcheinandergebracht war wie Rührei in der Pfanne – dann wäre er gejagt und verfolgt bis an sein Lebensende.
    »Du würdest es wieder tun«, stieß Walter schließlich blitzschnell vor, prüfte seinen Gegner, »du warst im Recht, ein Patriot, und meine Mutter, Hesh und Lola, und auch Paul Robeson, das waren die Verräter.«
    Truman starrte in die Flasche. Er gab keine Antwort.
    »Die haben wohl gekriegt, was sie verdient haben, oder?«
    Schweigen. Wind. Schneemobile. Gedämpfte Rufe. Hunde.
    »Und die Kinder. Ich hätte damals auch dort sein können, dein eigener Sohn. Was war mit den Kindern, die vor der Bühne gespielt haben – hatten die es auch verdient? Schlagen Patrioten etwa Kommunistenkinder zusammen? Ist das so üblich?« Walter faßte sich langsam, erwachte wieder zum Leben, war so wild auf den Kampf, daß er völlig vergaß, auf welcher Seite er stand. Soll er das widerlegen. Soll er mich überzeugen. Dann habe ich Ruhe.
    Truman stand seufzend auf, schwenkte lässig seinen Drink und ging dann durchs Zimmer zu dem Haken, an dem sein Mantel hing – ein Fellmantel, wie die Eskimos sie trugen. Darüber hing eine Mütze, ein Yukon-Modell aus Leder und Pelz, Ohrenschützer wie abstehende Flügel, und die setzte er auf. Er umkreiste zweimal den Stuhl, als nähme er nur widerwillig Platz, dann aber ließ er sich wieder nieder und drückte sich die Mütze tief in die Stirn. »Du hättest es gerne schön schwarz-weiß«, seufzte er. »Die Guten und die Bösen. Du möchtest es einfach haben.«
    »Du hast vorhin gesagt: ›Ich hatte recht.‹ Und dann auch: ›Ich habe sie geliebt.‹ Also, was davon ist nun wahr?«
    Der Alte ignorierte die Frage. Statt dessen sah er Walter direkt in die Augen. »Ich wußte nicht, daß sie sterben würde, Walter. Es war nichts weiter als eine Trennung, so hab ich das gesehen. So was passiert doch jeden Tag.«
    »Du hast das Messer in der Wunde herumgedreht«, sagte Walter.
    »Ich war jung und durcheinander. So wie du. Damals ist man nicht einfach zusammengezogen, da hat man gleich geheiratet. Ich liebte sie. Ich liebte Marx und Engels und die sozialistische Revolution. Dreieinhalb Jahre lang, Walter – das ist eine lange Zeit. Kann’s jedenfalls sein. Und ich hab mich eben verändert. Ist das etwa ein Verbrechen? Genau wie du, wie du, Walter. Deine Mutter war eine Heilige. Selbstlos. Gut. Rechtschaffen. Diese Augen ... Aber vielleicht auch zu gut, zu rein, verstehst du, was ich meine? Vielleicht gab sie mir das Gefühl, daß ich neben ihr ein Dreck war, und das machte mir Lust, ihr weh zu tun – nur ein kleines bißchen. Wie du mit Jessica, stimmt’s? Hab ich recht? Alles klar?«
    »Du bist ein dreckiges Schwein«, sagte Walter.
    Truman lächelte. »Du auch.«
    Schweigen. Dann fuhr Truman fort. Er sei im Unrecht gewesen, sie so tief zu verletzen, sagte er, das wisse er, und dieses Leben sei seine Buße, dieses Gespräch ein Akt der Reue. Er hätte einfach verschwinden, abhauen sollen. Er hätte sie warnen sollen. Aber er habe sich schon seit anderthalb Jahren heimlich mit Depeyster, LeClerc und den anderen getroffen – alten Soldaten wie er – und ihnen Informationen gegeben. Nichts Besonderes eigentlich – Versammlungsprotokolle, wer bei Parteisitzungen was gesagt hatte –, im Grunde gar nichts, und er habe keinen Cent dafür genommen. Wollte kein Geld. Er sei umgeschwenkt, um hundertachtzig Grad, und er sei fest davon überzeugt gewesen, im Recht zu sein.
    Natürlich war es ihm schwergefallen. Er trank mehr als früher, blieb von zu Hause fort, blickte in Christinas Märtyreraugen und fühlte sich wie ein Verbrecher, wie ein Stück Dreck, wie der heuchlerische Judas, der er auch war. »Aber weißt du, Walter«, sagte er, »manchmal ist es ein gutes Gefühl, sich wie Dreck zu fühlen, verstehst du, was ich meine? Das ist beinahe ein Bedürfnis. Das liegt im Blut.«
    Die Woche vor dem Konzert war die schlimmste seines Lebens gewesen. Das Ende nahte, und er wußte es. Jede Nacht war er weg,

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