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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Sie hielten seine Hände fest, also hat er mich gebissen. Wie ein Tier, Walter. Noch als er zu Boden ging, hat er ein Stück von mir mitgerissen.«
    Walter lehnte sich im Sessel zurück. Jetzt wußte er alles, der Kampf war vorbei, und was hatte er ihn gelehrt? Sein Vater war keins von beiden, weder Held noch Verbrecher, er war nur ein Mensch, schwach, käuflich, verwirrt, mit der Vergangenheit verwachsen, so schwer verwundet, daß auf Genesung nicht mehr zu hoffen war. Okay, na und? Was bedeutete das alles? Dieser Kobold. Piet. Die Alpträume am hellichten Tag und die Halluzinationen, sein Leben, das er auf leblosen Füßen fristen mußte, die Gedenktafel, Tom Crane, Jessica. Du bist auf dem besten Weg , hatte der Alte gesagt. Ging es darum, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten? Es der Vergangenheit in seinem Leben bequem zu machen?
    »Verrückt, was?« fragte der Alte.
    »Was?«
    »Das mit meinem Ohr. Mit dem Indianer.«
    Walter nickte mechanisch. Und dann, als wollte er dieses Nicken widerrufen, fauchte er los: »Ehrlich gesagt, das ist mir scheißegal. Ich will nichts von irgendeinem wahnsinnigen Indianer hören, der dir das Ohr abgebissen hat, ich will wissen, warum, warum du es getan hast.« Walter fuhr aus dem Sessel hoch, und er fühlte, wie sein Gesicht sich verzerrte, wie sich eine explosionsartige Entladung anbahnte, Tränen oder Wut oder Verzweiflung. »All das – Piet, Depeyster und wie durcheinander du warst –, all das sind nur Ausreden. Wörter. Fakten.« Zu seiner Überraschung merkte er, daß er brüllte. »Ich will wissen, warum, den Grund in deinem Herzen, warum. Verstehst du: warum?«
    Die Miene des Alten war eisig, unerbittlich, hart wie Stein. Plötzlich spürte Walter, daß er Angst hatte, daß er einen Schritt zu weit gegangen war – über den Rand hinaus und in den Abgrund. Er wich zurück, als sein Vater, aus allen Poren nach Gin stinkend, mit dieser wilden Pelzmütze auf dem Kopf, unter der seine Augen boshaft hervorfunkelten, von seinem Stuhl aufstand, um ihm den letzten Schlag zu versetzen, den K. o.
    Nein, dachte Walter, es ist noch nicht vorbei.
    »Du bist ein echter Masochist, Junge«, zischte Truman. »Du willst also die ganze Geschichte? Und du wirst bohren, bis du sie kriegst. Na gut«, sagte er, drehte ihm den Rücken und stapfte zu dem schweren Eichenschreibtisch, der das Zimmer beherrschte.
    »Da hast du sie«, sagte er, blickte ihn über die Schulter an und hob ein Manuskript hoch, und in diesem Moment sah er genau so aus, wie er Walter in seinen Trugbildern immer erschienen war; in diesem Moment war er der Geist auf dem Schiff, der Scherzbold im Krankenhaus, der Unhold auf dem Motorrad. Walter spürte, wie ihn etwas packte – etwas, das nie wieder loslassen würde. Es griff fester zu, ja, er konnte es spüren, entsetzlich und vertraut, als der Alte sich wieder zu ihm umwandte. »Walter«, sagte er, »hörst du mir zu?«
    Er konnte nicht sprechen. Seine Kehle steckte voller Tannennadeln, Pelzhaaren. Er war stumm, es würgte ihn.
    »Du interessierst dich also für die Geschichte der Colony, ja? Hast sicher auch ein bißchen was gelesen, ja? Über Peterskill?« Die Worte hingen im Raum wie eine Henkersschlinge. »Dann werd ich dich mal was fragen: bist du dabei jemals auf den Namen Cadwallader Crane gestoßen?«
    Er war geschlagen. Er wußte es.
    »Oder vielleicht auf Jeremy Mohonk?«

DER GALGENHÜGEL
    Das Manuskript lag in seinem Schoß, eine schwere Last. Ein fetter, massiger Papierstapel, wie die Wochenendausgabe der Times an Labor Day, wie ein russischer Roman, wie die Bibel. Fünfzehn Zentimeter dick, über tausend Seiten anderthalbzeilig beschriebenes Kanzleipapier. Sprachlos starrte Walter auf das Titelblatt: Schimpf und Schande der Kolonialzeit; Tod und Verrat in Van Wartville – der erste Aufstand von Truman H. Van Brunt. Lag hier der Grund? Hatte er deshalb seine Frau vernichtet, seinen Sohn verlassen und sich an den frostigen Rand des Kontinents verkrochen, wo ihn selbst die Eisbären nicht fanden?
    Tod und Verrat. Schimpf und Schande der Kolonialzeit. Er war reif für die Irrenanstalt.
    Seine Angst niederkämpfend, blätterte Walter die Seiten durch, las mit langsamen, bedächtigen Lippenbewegungen noch einmal den Titel. Es waren nichts als Wörter, es war nur Geschichte. Wovor fürchtete er sich? Cadwallader Crane. Jeremy Mohonk. Ein Schild am Straßenrand – tausendmal war er daran vorbeigefahren. Nie hatte er sich auch nur die Mühe gemacht, es zu

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