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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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»Ekelhaft«, sagte sie.
    Walter zuckte die Achseln und machte sich über die Krapfen in der Brotdose her.
    Sie sah ihm eine Weile beim Essen zu und fragte dann, wie es in Alaska gewesen sei.
    »Na ja«, sagte er mit vollem Mund, »kalt.«
    Beide schwiegen. Die Stimmen aus dem Salon wurden lebhafter. Joanna, die gewaltig schwangere Joanna, ging in einem seidenen Morgenmantel im Korridor vorbei. Ihre Haut war weiß, die Haare zu einer konventionellen Frisur hochgekämmt. Nicht einmal Mokassins trug sie.
    »Was geht da drin vor?« fragte Mardi und wies mit einer Kopfbewegung auf den Salon, »– die schmieden wohl Pläne oder so was?«
    Walter zuckte die Achseln. Er betrachtete die halbe Packung mit dünn geschnittenem Vollweizenbrot, die er neben den Krapfen gefunden hatte. Erdnußbutter? fragte er sich. Oder lieber Schmelzkäse mit Pimentaroma?
    Auf einmal hatte ihn Mardi am Arm gepackt und drückte sich an ihn, streifte seine Wange mit der ihren. »Willst du mit raufkommen für eine schnelle Nummer?« hauchte sie, und für eine Minute, nur für eine Minute, hörte er zu kauen auf. Doch dann stieß sie ihn lachend von sich. »Reingelegt, stimmt’s? Na? Gib’s zu.«
    Er sah von dem Brot in seiner Hand auf ihre Brüste, ihre herrlichen, vertrauten Brüste, die nach oben weisenden Brustwarzen, die sich so deutlich abzeichneten, daß sie ebensogut ohne Bodystocking hätte gehen können. Der Hunger – der Hunger in seinem Magen jedenfalls – klang allmählich ab.
    Mardi stand grinsend vor ihm, jederzeit bereit, ihm davonzuhuschen, wie ein Kind mit einer geklauten Mütze oder Federtasche. »Hab nur Spaß gemacht«, sagte sie. »Hey, ich bin gerade am Gehen.«
    Walter schaffte es, ein »Wohin denn?« herauszubringen, obwohl ihm das im Moment herzlich egal war.
    »Nach Garrison«, sagte sie, »wohin denn sonst?« Und dann war sie verschwunden.
    Walter blieb lange reglos stehen und hörte auf die vom Salon herüberdringenden Stimmen, hörte Dipe Van Wart, seinen Arbeitgeber, seinen Mentor, seinen besten und einzigen Freund. Dipe Van Wart, der seinen Vater zu einem Stück Scheiße gemacht hatte. Er dachte darüber eine Zeitlang nach, dachte an Hesh und Lola, an Tom Crane, Jessica und den kürzlich verstorbenen Peletiah, an Sasha Freeman, Morton Blum, Rose Pollack. Das waren auch alles Scheißbrocken. Alle zusammen. Er stand ganz allein. Er war hart, seelenlos und frei. Er war Meursault, der den Araber erschoß. Er konnte alles tun, alles, was er wollte.
    Er schob das Brot zurück in die Brotdose und schüttete den Rest des Biers in den Ausguß. Sein Mantel war im Salon, aber er würde ihn nicht brauchen. Er hatte keine rechte Lust, noch einmal hineinzugehen, und so kalt war es auch wieder nicht – jedenfalls nicht wenn man gerade in Barrow gewesen war. Er lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und starrte auf die Uhr über dem Herd, zwang sich dazu, so lange zu warten, bis der Sekundenzeiger zweimal im Kreis gelaufen war. Es liegt einem im Blut , Walter , hörte er seinen Vater sagen. Dann ging er quer durch die Küche und schlüpfte zur Hintertür hinaus.
    Die Nacht attackierte ihn mit ihrer Stille. Er stolperte durch den Schnee, verlor fast das Gleichgewicht und fing sich gerade noch am Kotflügel seines Wagens. Als er den Motor aufheulen ließ und die Scheinwerfer einschaltete, sah er das dunkle Rechteck, wo Mardis Auto geparkt hatte, und dahinter die lange Spur ihrer Reifen, die sich graziös die Einfahrt hinunterzog. Und als er das Ende der Einfahrt erreichte, sah er, daß die Spuren nach links abbogen, Richtung Garrison.
    Er hätte nach rechts fahren können, nach Hause, ins Bett.
    Aber er tat es nicht.
    Eine Viertelstunde später bog er auf den Pendlerparkplatz am düsteren Rand des Bahnhofs von Garrison ein. Der Platz war ungepflastert und unbewacht, normalerweise staubig wie die SonoraWüste, voller scharfkantiger Steine und dürrem Unkraut. Heute war er weiß, glatt, perfekt. Autos säumten die Straße vor dem Bahnhof, und fünfzig standen auf dem Parkplatz selbst, eng beieinander, nahe bei den Lichtern des Stationsgebäudes. Walter wollte noch etwas weiter fahren, sich seine eigene Schneise bahnen. Er wollte nicht auffallen.
    Der MG hatte eine gute Bodenhaftung, trotzdem brachen die Räder aus. Verborgene Hindernisse verschafften Walter eine Achterbahnfahrt, mit offenen Augen sah er nicht viel mehr, als wenn er sie zumachte, und das Heck des Wagens schien seinen eigenen Willen zu haben: ehe er sich’s versah,

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