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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gedämpft, schien von überall zu kommen. War es da drüben, bei den Lichtern? Oder war das der Bahnhof?
    Nachdem er den Reißverschluß wieder hochgezogen hatte und in das Dunkel eingetaucht war, wollte er im Grunde nichts weiter als seine Jessica suchen und sich mit ihr in die Koje verkriechen, in die Geborgenheit seines Schneehuhn-Daunenschlafsacks, der einen selbst am Rand einer Eisscholle mollig warm hielt. Aber wo ging es bloß lang? Und verdammt kalt war es. Wäre er nur nicht so lange draußen geblieben. Hätte er bloß nicht so viel gekifft. Und gesoffen. Er rülpste. Sein Haar war eisverkrustet, gefrorene Lokken ringelten sich in seinen Kragen.
    Er ging auf die Lichter zu, doch als er sie fast erreicht hatte, erkannte er, daß es sich doch um die altmodischen Laternen des Bahnhofsgebäudes handelte. Er mußte also nur eine Wendung um 180 Grad machen und auf jene anderen Lichter zumarschieren, die dort hinten schimmerten, um zum Zelt zu kommen. Drei anstrengende Minuten später, in denen er verzweifelt armewirbelnd einen Slalom über den rutschigen Boden hinter sich brachte, wurde er eines Besseren belehrt. Zwar stand er unter einer Straßenlampe, doch diese beleuchtete eine nachgebaute Ladenfront, über die ein Schild mit der Aufschrift YONKERS hing. Das machte ihn momentan völlig ratlos, dann aber klärten sich seine Gedanken lange genug, damit ihm die Kinoversion von Hello, Dolly einfiel, für die das Filmteam damals die verwitterten alten Häuser mit allen möglichen Schnörkelfassaden geschmückt hatten, um den Geist von Yonkers aus irgendeiner verflossenen Ära wachzurufen. Stumpfsinnig glotzte er das Schild an und dachte dabei: Yonkers? Der Geist von Yonkers? Yonkers war doch bloß ein verkommenes Viertel mit modrigen Lagerhäusern und kaputten Mietskasernen, der Hudson River sah dort aus wie ein gigantisches Klo – ja, er war dort ein gigantisches Klo. Und dieses Nest hier, Garrison, besaß etwa soviel Geist wie Disneyland.
    Teufel auch, das war vielleicht ein Schneetreiben. Er sah kaum noch die eigene Nase. (Er probierte es aus, schielte auf Daumen und Zeigefinger seiner nassen, eiskalten rechten Hand, mit denen er sich in die nasse, eiskalte Nasenspitze kniff, als ein Scheinwerferpaar ihn kurz erfaßte.) Aha, soso, hier war er also. Vor dem Antiquitätenladen. Und da vorne, ja, das war das scheunenrote Wohnhaus mit der Hollywoodfassade, und dahinter lag die Wiese, wo das Zelt stand. Jetzt kannte er sich wieder aus, o ja, und er ging mit echtem Selbstvertrauen los, als ihn etwas abrupt innehalten ließ. Auf dem Weg vor ihm ging noch jemand. Verschwand gerade um die Ecke. Tom kannte diesen Gang. Diesen wackligen, unsicheren, der Füße beraubten, breitschultrigen Gang. »Walter?« rief er. »Van?«
    Keine Antwort.
    Hinter ihm fuhr ein Wagen an, dann noch einer, weiter vorn auf der Straße. Zwei Mädchen mit Strickmützen kamen um die Ecke, Arm in Arm, dahinter ein ältliches Paar, das schicke Regenmäntel im Partnerlook trug. Als Tom um die Ecke bog, fand er endlich das Zelt, fand die Party wieder, fand etwa hundert Leute, die unter Abschiedsrufen und mit Plastikbechern voll Bier herumwuselten. Gleich darauf fand er Jessica.
    »Ich hab mir Sorgen gemacht«, sagte sie, »wo warst du denn? Meine Güte, du bist ja klatschnaß. Bestimmt frierst du dich halbtot.«
    »Ich, äh, hab zuviel ... Bin ein bißchen rumspaziert, um ’nen klaren Kopf zu kriegen.«
    Auf der Bühne stand Will Connell, um eine Zugabe zu singen. Wills Spitzbart war weißgefleckt. Er war hager und ein bißchen bucklig, sein Gesicht erinnerte an ein altes Gemälde. Er riß ein paar Witze über das Wetter und fing dann an, sein Banjo zu bearbeiten wie einen Schneebesen. Nach einer Weile ließ er davon ab, griff nach der Gitarre und legte los mit »We Shall Overcome«.
    »Du zitterst ja«, sagte Jessica.
    Das stimmte. Er stritt es nicht ab.
    »Gehen wir«, flüsterte sie, und ihre Hand schloß sich um die seine.
    Als sie auf die Schaluppe zurückkamen, saßen dort alle um den Holzofen in der winzigen Kombüse, aßen Kekse und tranken heiße Schokolade. Tom riß sich ohne Umschweife die Kleider vom Leib und drückte sich an den Ofen. Er trank Kakao, stopfte sich Kekse in den Mund, witzelte mit der Mannschaft herum. Er dachte weder an Mardi noch an den bedenklichen Umstand, daß er es unterlassen hatte, Jessica von ihr zu erzählen. Ebensowenig dachte er an Mardis Vater oder an Walter. (War er das vorhin wirklich gewesen? fragte er sich

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