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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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jenseits der Myriaden von Augenblicken, die ein Leben ausmachen. Sie dauerte an, bis Jessica sie brach – mit einem gehauchten Ja.
    Glück, Glück, Glück.

NEELTJE WINKTE ZURÜCK
    Jeremias hatte nicht soviel Glück. Er verschloß sich, raffte die dünnen Felle um sich und saß starr da wie eine Eisskulptur, während Van Warts Verwalter im Sattel herumrutschte, tobte, schmeichelte und drohte. Der Verwalter versuchte, mit ihm zu argumentieren, ihn kleinzukriegen und ihm Angst einzuflößen – er versuchte sogar, an das Gewissen des Jungen zu appellieren, indem er »Wohl denen, die da wandeln vor Gott in Heiligkeit« sang, in einem hohen, rauchigen Tenor, der seine Körpermasse Lügen strafte. Der Wind heulte von den Bergen herab. Jeremias sah ihn nicht einmal an. Schließlich warf der Verwalter sein Pferd herum und galoppierte davon, um den Hüter des Gesetzes zu holen.
    Als er mit dem schout , dem Schultheiß, zurückkehrte, hatte sich das Wetter verschlechtert. Erstens schneite es – große gefiederte Flocken, dem Himmel aus der Brust gerissen, türmten sich auf umgestürzten Bäumen und Farnen wie Zeichen eines angestauten kosmischen Zorns; zweitens war die Temperatur auf –15 °C gefallen. Der schout , dem die Aufrechterhaltung der Gesetze des patroon oblag, war ein hagerer, frettchenhafter Kerl namens Joost Cats. Er kam gewappnet mit einem Zwangsräumungsbefehl, der das Siegel seines Dienstherrn trug (ein in ein V verwobenes W, VW, das von Oloffe Stephanus zum Beglaubigen seiner Edikte, zur Kennzeichnung von Hab und Gut sowie zum Dekorieren der Unterwäsche benutzte Emblem), außerdem mit Rapier, Degengehenk und Silberfederhut, den Insignien seines Amtes.
    »Ein junger Taugenichts«, sagte der Verwalter, dem der Schnee um das Gesicht stob. »Hat das Vieh geschlachtet und das Anwesen in Schutt und Asche fallen lassen. Von mir aus könnt Ihr ihn ruhig gleich aufhängen.«
    Joost antwortete nicht, seine unbeweglichen schwarzen Augen wurden von der Krempe des Hutes verdeckt, der kleine Spitzbart klebte wie ein Schmutzfleck an seinem Kinn. Die Gicht beugte ihm den Rücken wie eine Sichel, und er saß so tief im Sattel, daß man ihn gar nicht hätte kommen sehen, wäre da nicht die gewaltige Hutfeder zwischen den Ohren seines Pferdes gewesen. Er gab keine Antwort, weil er äußerst üble Laune hatte. Da ritt er ans letzte Ende von Nirgendwo, der Himmel war wie ein gesprungener Krug und der Schnee puderte seinen schwarzen Mantel, daß er aussah wie ein olykoek mit Zuckerglasur, und wozu das alles? Um das Gequatsche dieses fetten, rotgesichtigen, aufgeblasenen Arschlochs neben sich anzuhören und ein einbeiniges Kind in den Schlund der öden, weiten, unzivilisierten Welt hinauszujagen. Er räusperte sich geräuschvoll und spuckte vor Ekel aus.
    Als sie die kahle Weißeiche erreichten, die in besseren Zeiten dem Haushalt der Van Brunts Schatten gespendet hatte, schneite es kaum mehr, und die Temperatur war um weitere zwei Grad gefallen. Zu ihrer Linken, vor dem Dickicht der Bäume, erhob sich die halbfertige Steinmauer, die Wolf Nysen begonnen hatte, ehe er wahnsinnig geworden war, seine Familie abgeschlachtet und sich in die Berge geflüchtet hatte. Er hatte ihnen im Schlaf die Kehle durchschnitten – Schwester, Ehefrau und zwei halberwachsene Mädchen – und sie der Fäulnis überlassen. Als Joosts Vorgänger, der alte Hoogstraten, sie schließlich fand, waren sie schon so vermodert, daß sie aussahen wie aus Haferbrei. Die Leute erzählten sich, der Schwede sei immer noch irgendwo da oben, lebe dort wie ein Indianer, kleide sich in Felle und erwürge Kaninchen mit bloßen Händen. Joost blickte sich beklommen um. Direkt vor ihm lag das verkohlte Gerippe des Blockhauses, das aus der Schneeschicht herausragte wie ein mehrfacher Knochenbruch.
    »Da!« keuchte der Verwalter, »seht nur, was die hier angerichtet haben.«
    Joost wartete, bis sich sein Pferd durch die Schneewächten getastet hatte wie ein alter Mann, der in eine Badewanne steigt, ehe er antwortete. »Vielleicht sollte der patroon diese Farm hier lieber aufgeben. Bringt nichts als Unglück.«
    Der Verwalter hörte nicht zu. »Da drüben«, sagte er und wies mit seinem dicken Zeigefinger in die Richtung von Jeremias’ Unterstand. Joost ließ die Zügel sinken und schob die tauben Hände in die Manteltaschen, während sein Pferd – ein einäugiger Klepper mit übermäßigem Appetit und einem Wasserbauch – stumpfsinnig der Mähre des Verwalters

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