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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Begegnung mit einer feindlichen, äh, Tretmine sagt man wohl dazu. Diese Prothese habe ich selbst eingesetzt.«
    Walter wußte nicht, ob er erleichtert oder angeekelt sein sollte. Sein erster Impuls war, vom Bett aufzuspringen, schreiend durch den Korridor zu hüpfen und sich aus einem Fenster zu stürzen. Der zweite Impuls war, sich vorzubeugen und dem Arzt das therapeutische Lächeln aus dem Gesicht zu schlagen. Sein dritter Impuls – derjenige, dem er letztlich folgte – war, stocksteif sitzenzubleiben und die Zähne zusammenzupressen wie ein Katatoniker.
    Der Arzt beachtete ihn nicht. Er war damit beschäftigt, unter dem Stuhl nach Walters Fuß zu fischen, dabei hielt er ihm Vorträge über Verwendung und Pflege des Dings, als handelte es sich um ein Treibhausgewächs und nicht um einen leblosen Plastikklumpen, hergestellt in Weehawken, New Jersey. »Natürlich«, fuhr er fort, während er sich mit dem wiedergefundenen Fuß in der Hand aufrichtete, »vormachen dürfen Sie sich nichts. Ihnen fehlt jetzt ein Körperteil« – er hielt inne – »und Ihre Bewegungsfreiheit wird etwas beeinträchtigt sein. Trotzdem glaube ich, daß Sie fast den ganzen Bereich Ihrer bisherigen Aktivitäten werden abdecken können.«
    Walter hörte ihm nicht zu. Er starrte auf den Fuß in Huysterkarks Schoß (der Doktor jonglierte unbewußt damit herum), in seinen Adern pulsierte, wie eine Art Infektion, ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit und unabänderlichem Schicksal, er kam sich gerichtet und verurteilt vor, und gleichzeitig revoltierte er dagegen, wie unfair das alles war. Der alte Joe konnte jederzeit die Krauts dafür verantwortlich machen, genau wie Ahab seinen Wal. Bei Walter war es nur ein Schatten gewesen, und das Bild seines Vaters.
    Warum ich? dachte er immer wieder, während der Arzt mit dem fremdartigen Fuß spielte wie mit einer Nippesfigur oder einem Briefbeschwerer. Warum ich?
    »Nein, nein, Walter«, sagte Huysterkark, »eigentlich haben Sie sogar großes Glück gehabt. Wirklich großes Glück. Wären Sie etwas höher gegen das Schild geprallt und hätten Ihr Bein oberhalb des Knies verloren, also dann –« Eine Geste seiner Hand vollendete den Gedanken.
    Die Sonne stand in den Baumwipfeln vor dem Fenster. Dort draußen, auf der Schnellstraße, fuhren die Leute vorbei, zum Einkaufen, um schwimmen, Tennis oder Golf spielen zu gehen, Segelboote im Yachthafen von Peterskill aufzutakeln oder im »Elbow« etwas Kühles zu trinken. Walter lag in dem gestärkten weißen Bettzeug, erstarrt vor Selbstmitleid, nicht wiederherzustellen. Aber Glück hatte er gehabt. O ja, allerdings. Glück, Glück, Glück.
    In der Nacht davor, als Hesh und Lola und Jessica gegangen waren und die Betäubung allmählich nachließ, hatte Walter geträumt. Der bleiche Glanz des Korridors verschwamm zu einem Nebel, das Knistern der Lautsprecheranlage wandelte sich zum Klatschen von brackigem Wasser gegen Holzpfähle, die Ebbe setzte gerade ein, und der Geruch war so durchdringend wie alles, was je auf der Erde gelebt hatte und gestorben war. Er war auf Krebsfang. Mit seinem Vater. Mit Truman. Frühmorgens aufgestanden, die Fallen in den Kofferraum des Studebaker geworfen, Köder in Zeitungen eingewickelt, dann zu Fuß auf die Eisenbahnbrücke über den Acquasinnick, dessen Mündung bei Flut breit wird und das Meer bis hinauf zum Van Wart Creek einläßt. Bleib von den Schienen weg, warnte ihn sein Vater, und Walter spähte in den Dunst hinein, halb in der Erwartung, daß der Sechsuhrzwanzigzug von Albany aus dem Morgengrau hervorbrach und ihn in Stücke fetzte. Doch das wäre zu einfach gewesen. Dieser Traum war subtiler, der Höhepunkt finsterer.
    Die Köder? Was war das? Angefaulte Fische, mit Fliegen bedeckt. Knochen. Mark. Hühnerflügel, so vergammelt, daß man wochenlang stinkende Finger hatte, wenn man sie anfaßte. Wenn Menschen im Fluß ertranken, wenn sie bleich und aufgedunsen im Schlick lagen, unter umgestürzten Baumstämmen oder in Autowracks, wenn sie langsam aufweichten, dann holten die Krebse sie sich. Sein Vater sprach nie darüber. Aber die Nachbarkinder taten es, die Leute vom Fluß taten es, die Säufer unten in den Baracken am Ufer, die man von hier oben aus sehen konnte – die sprachen darüber. Wie auch immer, vielleicht raste der 6.20 mit apokalyptischem Donnern vorbei, als wollte er die Brückenstreben aus den Stützpfeilern reißen, vielleicht auch nicht. Jedenfalls zog Walter an der Schnur, und die Krebsfalle war

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