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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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der Tisch war zur Hälfte gedeckt. Hinten in der Ecke hob ein alter Spaniel müde den Kopf, und zwei weißblonde Kinder der van der Meulens starrten sie an wie ein Paar Cherubim.
    »Nun?« fragte Meintje schließlich, während sie die Tür hinter ihnen schloß. »Was könnte wohl den ehrenhaften commis und seinen Kollegen, den schout , in solch einer Nacht auf unseren entlegenen Hof führen?«
    Joosts Rücken war im Stehen bei weitem nicht so gebeugt wie beim Reiten, dennoch hielt er sich ziemlich schlecht. Er drehte den Federhut in den Händen, lümmelte sich gegen den Türrahmen und setzte zu einer Erklärung an. »Van Brunt«, begann er, wurde jedoch von dem übereifrigen Verwalter unterbrochen, der nun die Vorwürfe des patroon gegen Harmanus’ einzigen, einsamen Erben darlegte, als hielte er ein Plädoyer vor einem Gericht, das sich aus Spießgesellen des Beschuldigten zusammensetzte (obwohl ein solches Gericht natürlich weder erforderlich noch je dagewesen war, da der Gutsherr auf seinen Ländereien Richter, Geschworener und Staatsanwalt zugleich war; den schout und den Henker bezahlte er dafür, daß sie sich um den Rest kümmerten). Er näherte sich dem Herd und seinem paradiesischen Aroma immer mehr und schloß seine Rede mit der Feststellung, sie hätten die Spur des Missetäters bis zur Küchenschwelle der goede vrouw verfolgt.
    Meintje wartete, bis er geendet hatte, dann nahm sie einen Holzlöffel aus dem Schrank und begann, den Verwalter zu beschimpfen – sie beide zu beschimpfen, denn Joost fand sich zu seinem Entsetzen ebenfalls von ihrem Zorn getroffen. Sie seien doch die Verbrecher – nein, schlimmer noch, Unholde seien sie, pferdefüßige duyvils , Gefolgsleute des Beelzebub und seiner unseligen Horde. Wie konnten sie auch nur daran denken, das arme Waisenkind von seiner letzten Zuflucht zu vertreiben? Wie konnten sie? Waren sie Christen? Waren sie Menschen? Oder wenigstens menschenähnliche Wesen? Volle fünf Minuten lang tobte sie, und die ganze Zeit über schwang sie den Holzlöffel wie das Schwert der Gerechten. Mit jeder emphatischen Gebärde trieb sie den Verwalter weiter zurück, bis er seinen schwer errungenen Platz am Herd verloren hatte und sich an der Tür wiederfand, das Hinterteil gegen die kalten, harten Bretter gepreßt, als wollte er damit verschmelzen, während Joost vor Scham und Demütigung so tief gebückt dastand, daß er seine Stiefelschnallen mit den Zähnen hätte öffnen können.
    In diesem Moment kam Staats, der einen schalen Gestank nach Kuhstall und eine Jacke voll Kälte mit sich brachte, durch die Tür gepoltert. Sein Eintreten verlagerte den Schwerpunkt des Verwalters und ließ ihn durchs halbe Zimmer fliegen, bis er mit einem Ausdruck verletzter Würde im Schaukelstuhl aus Birkenholz landete. Staats war ein kräftiger, plattnasiger, derbhäutiger Mann mit so durchdringenden Augen, daß sie wie zwei Schläge ins Gesicht wirkten. Er schien vollkommen überrascht, commis und schout hier vorzufinden, obwohl er ihre vor der Tür angebundenen und zugedeckten Pferde gesehen haben mußte. »Heilige moeder im Himmel«, brüllte er. »Was ist hier los?«
    »Staats«, schluchzte Meintje, lief auf ihn zu und wiederholte zweimal jammernd seinen Namen, »sie kommen den Jungen holen.«
    »Jungen?« fragte er zurück, als hätte er das Wort noch nie gehört. Sein Blick wanderte durch das Zimmer, suchte nach einem Anhaltspunkt, dann lüftete er seine Nerzmütze, um sich den Kopf zu kratzen, der so hart und haarlos wie eine Haselnuß war.
    »Den kleinen Jeremias«, flüsterte seine Frau erläuternd.
    Joost beobachtete die beiden unsicher. Wie er später erfahren sollte, war der Junge etwa zwei Stunden zuvor aufgetaucht und hatte Unterschlupf und etwas zu essen erbeten. Zuerst hatte Vrouw van der Meulen ihm vor Schreck die Tür vor der Nase zugeschlagen – ein Gespenst war auf ihrer Schwelle erschienen, abgezehrt und verstümmelt, ein Untoter –, doch als sie einen zweiten Blick wagte, sah sie nur das halbverhungerte Kind, einsam und verlassen im Schnee. Sie hatte ihn an sich gedrückt, ihn vor dem Feuer in Decken gewickelt, ihn mit Suppe, heißem Kakao und Honigkuchen gefüttert, während ihre eigenen Kinder sich neugierig ringsum drängten. Warum war er nicht schon eher gekommen? fragte sie. Wo war er die ganze Zeit über gewesen? Wußte er denn nicht, daß sie und Staats und auch die Oothouses gedacht hatten, er wäre ebenfalls bei dem Brand umgekommen, der seine arme moeder

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