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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den Pier klatschen.
    Auf einmal spürte er es in sich aufsteigen, das Gefühl von Heiterkeit, von Liebe, so rein wie Schnee vom Himalaja, von Brüderlichkeit und vereinter Freude – so ähnlich mußte sich Gandhi inmitten der ungewaschenen Massen von Delhi oder Lahore gefühlt haben. Zu lange war er Einsiedler gewesen (es waren jetzt schon fast zwei Wochen), zu lange hatte er den Kontakt mit menschlicher Energie und dem vitalen Elan seines Zeitalters entbehrt. Außerdem war er seit September, als Amy Clutterbuck ihn in einem dunklen Kinosaal in Ithaca ihre Hand hatte halten lassen, keiner Frau näher als einen Meter gekommen. Und nun war er von ihnen umringt.
    Hier ’ne Blondine, da ’ne Blondine, überall Blondinen, sang er vor sich hin, während er sich einen Weg zu den Tribünen bahnte und mit breiten, schweren Schritten unbeholfen die Holztreppen emporstieg. Mann, war das großartig! Allein die Gerüche! Parfüm, Räucherstäbchen, Gras, Tabak, Pfefferminzplätzchen! Beinah schwindlig vor Aufregung ergatterte er einen Sitzplatz auf halber Höhe der vorderen Tribüne, ließ sich auf die kalte, harte Holzbank sinken und stieß dabei aus Versehen seine Knie in den Rücken des Mädchens vor ihm. Leider war es nicht nur ein leichter Stupser – ebensogut hätten seine langen Beine mit Sprungfedern versehen, die scharfen, spitzen Knochen seiner Kniescheiben Messer sein können –, nein, es war mehr ein wuchtiger, durchbohrender Stich in die Nieren seines Opfers. Vor Schmerz sprang sie auf und ging wie eine Furie auf ihn los.
    Er sah ein schmales blasses Gesicht, von Haaren fast verdeckt, Augen wie Veilchen unter Glas, eine wütende Stirnfalte über einem Paar vollkommener, ungezupfter Brauen. »Sag mal, du spinnst wohl, du Ficker!« fauchte sie und stieß den Reibelaut mit solcher Kraft aus, daß sein Bart bis in die Haarwurzeln erzitterte.
    »Ich – ich – ich –« begann er, als müsse er gleich niesen. Dann aber fand er die Beherrschung wieder und ließ eine Entschuldigung los, die so tief war und von Herzen kam, so einschmeichelnd und allumfassend, daß selbst Ho Chi Minh davon weich geworden wäre. Abschließend bot er ihr einen Kaugummi an. Den sie annahm.
    »Lange Beine, was?« sagte sie und entblößte die Zähne zu einem prachtvollen kurzen Lächeln.
    Er nickte, die scharfe Hakennase der Cranes fuhr durch die Luft, und die zerzausten Strähnen seines Haars flogen ihm über die Schultern. Ob er aus der Gegend hier sei, wollte sie wissen. Nein, er war aus Peterskill, hatte gerade sein Studium an der Cornell hingeschmissen – es war einfach ein öder Mist gewesen, sie wußte bestimmt, was er meinte, oder? – und wohnte jetzt im eigenen Haus, total lässig, mitten im Wald.
    »Aus Peterskill?« quietschte sie. »Ehrlich?« Sie war auch von da, aus Van Wartville. Klar, geboren und aufgewachsen. Ging früher auf ’ne Privatschule. Jetzt war sie auf dem Bard College. Ob er ein Auto habe?
    Hatte er.
    Eigentlich wäre es eine gute Idee, übers Wochenende nach Hause zu fahren, vielleicht die Vorlesungen am Montag zu schwänzen und sich von ihrem Vater zurückfahren zu lassen. Ob das mit ihm wohl klar ginge – ob er sie mitnehmen konnte?
    Er nickte, bis ihm der Nacken weh tat, grinste so breit, daß seine Mundwinkel taub wurden. Klar, natürlich, kein Problem, jederzeit. »Ich bin Tom Crane«, sagte er und streckte die Hand aus.
    Sie drückte sie, und ihre Hand war so kalt wie einer der zahllosen, glotzäugigen Barsche, die er im Bio-Labor seziert hatte. »Ich bin Mardi«, sagte sie.
    Er wollte gerade irgend etwas Schwachsinniges erwidern, nur so, um das Gespräch in Gang zu halten, etwa »Ich bin übrigens Waage«, aber da ging das Licht aus, und der Ansager kündigte die Band an. Dann aber geschah etwas Sonderbares. Denn statt der Musiker mit langen Haaren und spöttischen Grimassen hielt plötzlich ein anderer Typ das Mikrofon in der Hand – der Dekan der Uni oder so, in Anzug und Krawatte. Er gab mit sich überschlagender Stimme bekannt, es habe einen Unfall gegeben und er bitte die Zuschauer um Mithilfe. Die Leute warfen einander fragende Blicke zu. Gemurmel setzte ein. Offenbar hatte jemand ohne Eintrittskarte versucht, durch eins der großen schmalen Fenster hereinzukommen, die sich an beiden Längswänden erstreckten und etwa sechs Meter über dem Boden lagen. Der Eindringling war hindurchgeklettert, hatte sich einen Moment lang am Sims festgehalten und dann hinunterfallen lassen. So erklärte es

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